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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Zentrales Thema von Freud war – trotz aller notwendigen Kritik an seinem Biologismus<br />

und seiner ahistorischen Anthropologie – die Möglichkeit von Emanzipation: die »Selbstbefreiung<br />

von den Zwängen zweiter innerer Natur«, die sich als neurotische Konflikte im Subjekt<br />

selber ausdrücken. 62 »Die Entdeckung des unbewußt Gewordenen sowie die <strong>der</strong> schon<br />

infantil stattfindenden Verschränkung von Sexualität und Soziabilität sind die zentralen Verdienste<br />

Freuds, die wir uns allerdings sozialwissenschaftlich aneignen müssen.« 63 Allerdings<br />

wird von Freud die Möglichkeit, »Herr im eigenen Kopf werden zu können«, aufgrund des<br />

Biologismus letztlich verneint. In einer kritischen <strong>Theorie</strong> des Subjekts dagegen geht es »um<br />

Aufklärung des in <strong>der</strong> Vergangenheit verankerten lebensgeschichtlichen Schicksals, um die<br />

Aufhebung des infantilen Determinismus, wie es bei Marx um die Aufhebung des ökonomischen<br />

geht«. 64 In <strong>der</strong> Arbeit an den inneren Brechungen und <strong>der</strong> Überwindung <strong>der</strong> damit einhergehenden<br />

Selbst-Verblendungen <strong>der</strong> Individuen wird Subjektwerdung als Selbstbefreiung<br />

denkbar, entsprechendes politisches Handeln möglich.<br />

Gegenüber Freud und Marcuse geht <strong>der</strong> Ansatz von Horn und Lorenzer von einer gesellschaftlich-historischen<br />

Bestimmung und Verän<strong>der</strong>barkeit <strong>der</strong> inneren Natur aus. Die individuelle<br />

innere Natur ist in jedem Fall eine immer schon gesellschaftlich bearbeitete Natur.<br />

Auch die Triebschicksale sind immer gesellschaftliche Triebschicksale. So können wir die<br />

»Entwicklungsgeschichte <strong>der</strong> menschlichen Natur und damit die Subjektentwicklung nur<br />

dann angemessen begreifen, wenn wir die konkrete gesellschaftliche und soziale Einflussnahme<br />

auf die psychosexuelle Entwicklung von Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen und die Beziehungsdynamik<br />

permanent berücksichtigen, in die jene eingebettet ist.« 65<br />

Die politische Dimension <strong>der</strong> Psychoanalyse tritt auch auf, wenn sich psychische Strukturbildungen<br />

historisch verfolgen lassen. Damit ergibt sich ein an<strong>der</strong>er Knotenpunkt in <strong>der</strong><br />

Entwicklung einer Sozialisationstheorie: Denn auch wenn Sozialisation immer die Sozialisation<br />

des Einzelnen in <strong>der</strong> Formung seiner Triebe und den gesellschaftlichen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

meint, so handelt es sich immer auch um eine gruppenvermittelte Auseinan<strong>der</strong>setzung. »In<br />

dieser aus ihrer Sozialisationstheorie hervorgehenden Dimension liegt die politische Brisanz<br />

einer kritischen <strong>Theorie</strong> des Subjekts: Die Form <strong>der</strong> Soziabilität wird stets als Resultat <strong>der</strong><br />

primärgruppenvermittelten Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Trieb und objektiven gesellschaftlichen<br />

Verhältnissen interpretiert.« 66 Damit wird, so Horn, die materialistische Sozialisationstheorie<br />

zum »politischen Kern <strong>der</strong> kritischen <strong>Theorie</strong>«. 67<br />

62 Vgl. Klaus Horn: Emanzipation aus <strong>der</strong> Perspektive einer zu entwickelnden kritischen <strong>Theorie</strong> des Subjekts, in:<br />

<strong>der</strong>s.: Subjektivität, Demokratie und Gesellschaft. Schriften zur kritischen <strong>Theorie</strong> des Subjekts II, Frankfurt am<br />

Main 1990, S. 119-155; S. 128.<br />

63 Ebenda, S. 129.<br />

64 Ebenda, S. 143.<br />

65 Bernhard: Sozialisation als gesellschaftliche Zwangsveranstaltung: Ansätze eines Modells <strong>der</strong> Subjektwerdung im<br />

Kontext <strong>Kritische</strong>r <strong>Theorie</strong>, S. 57.<br />

66 Horn: Emanzipation aus <strong>der</strong> Perspektive einer zu entwickelnden kritischen <strong>Theorie</strong> des Subjekts,<br />

S. 145.<br />

67 Ebenda, S. 146.<br />

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