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Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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<strong>Krise</strong>nästhetisierung bedeutet dabei beides: Ästhetik <strong>der</strong> <strong>Krise</strong> und <strong>Krise</strong> <strong>der</strong> Ästhetik. Der<br />

Fetischcharakter <strong>der</strong> Ware verdoppelt sich im ästhetischen Schein <strong>der</strong> zur Kultur mystifizierten<br />

Waren. Im Pop leben die Menschen vollends in einer »verzauberten Welt, und ihre eigenen<br />

Bedingungen erscheinen ihnen als Eigenschaften <strong>der</strong> Dinge« 62 .<br />

Diese Verzauberung, die im Fetischcharakter <strong>der</strong> Ware ihre Struktur hat, bleibt <strong>der</strong> <strong>Krise</strong><br />

nicht äußerlich: In <strong>der</strong> plötzlichen spektakulären Vervielfältigung <strong>der</strong> <strong>Krise</strong> zu <strong>Krise</strong>n entsteht<br />

eine Konfusion, in <strong>der</strong> unterschiedlichste <strong>Krise</strong>ntypen (Wirtschaftskrise, Kulturkrise, Staatskrise<br />

etc.) miteinan<strong>der</strong>, ineinan<strong>der</strong> und gegeneinan<strong>der</strong> inszeniert werden. Diese <strong>Krise</strong>nphantasmagorien<br />

imaginieren ein Chaos, bei dem sich das Spektakel selbst als Matrix möglicher<br />

orientierungen dieser <strong>Krise</strong>n darstellt. Solche orientierungen operieren auf <strong>der</strong> Ebene von<br />

Funktionalitätserklärungen: »<strong>Krise</strong>nlösungen« zielen nicht mehr auf Abschaltung, Verän<strong>der</strong>ung<br />

o<strong>der</strong> gar Aufhebung <strong>der</strong> <strong>Krise</strong>nursachen (zum Beispiel Revolution), son<strong>der</strong>n liefern<br />

höchstens einen Vorrat an Informationen, nach denen die <strong>Krise</strong>n vermeintlich erklärbar, verstehbar<br />

und nachvollziehbar werden – und damit bestenfalls Gegenstand von an Experten,<br />

Gremien und Institutionen delegierten Reformen sind.<br />

Die Verzauberung <strong>der</strong> Welt beschränkt sich nicht mehr auf die Ökonomie im engeren<br />

Sinne (Wirtschaft), son<strong>der</strong>n weitet sich in die Produktion und Reproduktion von »Sinn« aus.<br />

Nicht nur erscheinen die Produktionsverhältnisse als Verhältnisse »gesellschaftlicher Natureigenschaften«<br />

(Marx), son<strong>der</strong>n die chaotische Totalität (o<strong>der</strong>, im schweren <strong>Krise</strong>nfall, das<br />

totale Chaos) gesellschaftlicher Verhältnisse wird als Naturverhältnis identifiziert.<br />

VI<br />

»Seine Aufregung verhin<strong>der</strong>te lange Zeit das Entschlummern,<br />

aber dann erfolgte auch ein so tiefer, langer und fester Schlaf,<br />

wie ihn gewöhnlich die Natur bei großen <strong>Krise</strong>n hervorbringt,<br />

und groß war die Krisis, welcher Georg jetzt entgegen sah.«<br />

Benedicte Naubert 63<br />

Die kleine Sentenz aus Zinnemanns »Der Schakal« hat die britischen Band »Supertramp«<br />

1975 zum Titel ihres ersten in Amerika produzierten Albums gemacht: »Crisis? What Crisis?«<br />

Allerdings fungiert <strong>der</strong> Satz hier lediglich als Notlösung in Ermangelung einer besseren Titelidee,<br />

wie die Band zugegeben hat, und tatsächlich gibt <strong>der</strong> Albumtitel keine Hinweise auf<br />

Inhalt und Thema <strong>der</strong> Musik; gleichwohl das Coverdesign, 64 das ironisch den Titel aufnimmt,<br />

durchaus nahe legt, dass es sich um ein Konzeptalbum 65 handelt: »Crisis? What Crisis?« il-<br />

62 Karl Marx: <strong>Theorie</strong>n über den Mehrwert. Dritter Teil, in: MEW, Bd. 26.3, S. 503.<br />

63 Benedicte Naubert: Die hamelschen Kin<strong>der</strong>, o<strong>der</strong> das Mährchen vom Ritter St. Georg, in: Volksmährchen <strong>der</strong> Deutschen,<br />

2. Bändchen, Leipzig 1840, S. 167.<br />

64 Das Cover wurde von Fabio Nicoli, Paul Wakefield und Dick Ward gestaltet.<br />

65 Der Begriff Konzeptalbum bezeichnet in <strong>der</strong> Popmusik eine Albumveröffentlichung, bei <strong>der</strong> die Tracks o<strong>der</strong> Songs<br />

durch ein Thema konzeptuell miteinan<strong>der</strong> verbunden sind. Das wohl bekannteste Konzeptalbum ist »Sgt. Pepper’s<br />

Lonely Hearts Club Band« von den Beatles aus dem Jahr 1967.<br />

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