30.12.2012 Aufrufe

Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ich erfolgreich gegen hartes Geld tauschen kann. Ein Apfelschäler ist eben nicht einfach<br />

nur ein Apfelschäler, son<strong>der</strong>n ein vertracktes, sinnlich übersinnliches Ding, voller Spitzfindigkeiten<br />

und Mucken. Ich habe keinen unmittelbaren Einfluss darauf, ob die Produkte<br />

meiner menschlichen Hand mir als Waren den Kontakt zur zahlungskräftigen Kundschaft<br />

vermitteln o<strong>der</strong> zum Ladenhüter werden. Außer ich habe das Glück, eine Marktlücke zu<br />

entdecken und mit einem innovativen Produkt mein unkalkulierbares Verhältnis zur gesellschaftlichen<br />

Gesamtarbeit in ökonomischen Erfolg umzumünzen. Verschenke ich meinen<br />

Apfelschäler, weil jemand ihn braucht o<strong>der</strong> haben möchte, kann ich mich an <strong>der</strong><br />

Freude des an<strong>der</strong>en erfreuen – aber nur solange ich selbst noch über genügend Reserven<br />

an Gesellschaftlichkeit verfüge: über Geld.<br />

Geld ist die universelle Verkörperung des Wertverhältnisses. Geld ist materielle Gewalt.<br />

Wer sich den Zugang zu Geld nicht über den erfolgreichen Verkauf einer hergestellten<br />

Ware sichern kann, muss sich nach an<strong>der</strong>en Möglichkeiten des Tausches umsehen:<br />

Ich bin we<strong>der</strong> Erbin einer Fabrik o<strong>der</strong> eines Adelstitels noch verfüge ich über hinreichend<br />

Kapital, um an<strong>der</strong>e für meine Bedürfnisse arbeiten zu lassen. Also muss ich selbst etwas<br />

anbieten. Ich habe aber nichts, außer meiner Arbeitskraft. Diese kommt für die Wertproduktion<br />

ganz beson<strong>der</strong>s in Betracht. Denn sie ist die Quelle von Mehrwert. Die einzige.<br />

Damit ist sie die Grundlage <strong>der</strong> Aneignung des Reichtums durch wenige und <strong>der</strong> Ausbeutung<br />

<strong>der</strong> vielen. Wir begegnen uns auf dem Markt als formal Freie und Gleiche. Ich arbeite<br />

für an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> lasse an<strong>der</strong>e für mich arbeiten. Je nach individuellen Möglichkeiten bin<br />

ich Tellerwäscherin o<strong>der</strong> Millionärin. Ich arbeite prekär, o<strong>der</strong> ich forsche über prekäre<br />

Arbeit. So scheint es. Meine Arbeit gilt je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gleich: Als Verausgabung menschlicher<br />

Arbeit ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung tut es nicht zur Sache, ob<br />

ich für McDonald’s Buletten brate, für den Staat Fuchspanzer steuere o<strong>der</strong> für eine Forschergruppe<br />

<strong>der</strong> Charité gegen Bezahlung Krankheiten simuliere. Indem ich all diese Tätigkeiten<br />

gleichermaßen gegen Geld tauschen kann und muss, bestätige ich nur die Logik<br />

des Wertes. Ich weiß es nicht, aber ich tue es tagtäglich. Ich will tauschen, weil ich es<br />

muss. Mein tägliches Tun muss auf dem Jahrmarkt <strong>der</strong> nützlichen und unnützen Waren<br />

verwertbar sein: als Lohnarbeit, Honorararbeit, Gehaltsarbeit, Gagearbeit, Schwarzarbeit.<br />

Sogar die hier formulierten Gedanken, mein denkendes Aufbegehren gegen diese Logik,<br />

ist Teil von ihr, bestätigt sie. Warum? Weil ich tausche: Arbeitskraft gegen Geld. Schreibende<br />

Kritik an den Verhältnissen, mit <strong>der</strong> ich zugleich monetär zu meinem Auskommen<br />

in ihnen beitrage. Verrückt.<br />

Auf dem Markt realisiert sich <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> buntscheckigen Waren. Wer nichts an<strong>der</strong>es zum<br />

Tauschen hat, muss die eigene Arbeitskraft anbieten. Ihre Verausgabung ist kein frei assoziiertes<br />

bewusstes Tun, son<strong>der</strong>n nur in ganz bestimmter Form anerkannt und vergütet: als Lohnarbeit.<br />

Wer sich ihr unterwirft und sich zu sich selbst als Ware verhält, kann tauschen. Nun<br />

scheint es im Kapitalismus selbstverständlich zu sein, dass die gesamte geleistete Arbeit bezahlt<br />

wird. So ist es im Alltagsdenken nahe liegend, einen »gerechten Lohn« zu for<strong>der</strong>n und<br />

152

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!