Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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ich erfolgreich gegen hartes Geld tauschen kann. Ein Apfelschäler ist eben nicht einfach<br />
nur ein Apfelschäler, son<strong>der</strong>n ein vertracktes, sinnlich übersinnliches Ding, voller Spitzfindigkeiten<br />
und Mucken. Ich habe keinen unmittelbaren Einfluss darauf, ob die Produkte<br />
meiner menschlichen Hand mir als Waren den Kontakt zur zahlungskräftigen Kundschaft<br />
vermitteln o<strong>der</strong> zum Ladenhüter werden. Außer ich habe das Glück, eine Marktlücke zu<br />
entdecken und mit einem innovativen Produkt mein unkalkulierbares Verhältnis zur gesellschaftlichen<br />
Gesamtarbeit in ökonomischen Erfolg umzumünzen. Verschenke ich meinen<br />
Apfelschäler, weil jemand ihn braucht o<strong>der</strong> haben möchte, kann ich mich an <strong>der</strong><br />
Freude des an<strong>der</strong>en erfreuen – aber nur solange ich selbst noch über genügend Reserven<br />
an Gesellschaftlichkeit verfüge: über Geld.<br />
Geld ist die universelle Verkörperung des Wertverhältnisses. Geld ist materielle Gewalt.<br />
Wer sich den Zugang zu Geld nicht über den erfolgreichen Verkauf einer hergestellten<br />
Ware sichern kann, muss sich nach an<strong>der</strong>en Möglichkeiten des Tausches umsehen:<br />
Ich bin we<strong>der</strong> Erbin einer Fabrik o<strong>der</strong> eines Adelstitels noch verfüge ich über hinreichend<br />
Kapital, um an<strong>der</strong>e für meine Bedürfnisse arbeiten zu lassen. Also muss ich selbst etwas<br />
anbieten. Ich habe aber nichts, außer meiner Arbeitskraft. Diese kommt für die Wertproduktion<br />
ganz beson<strong>der</strong>s in Betracht. Denn sie ist die Quelle von Mehrwert. Die einzige.<br />
Damit ist sie die Grundlage <strong>der</strong> Aneignung des Reichtums durch wenige und <strong>der</strong> Ausbeutung<br />
<strong>der</strong> vielen. Wir begegnen uns auf dem Markt als formal Freie und Gleiche. Ich arbeite<br />
für an<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> lasse an<strong>der</strong>e für mich arbeiten. Je nach individuellen Möglichkeiten bin<br />
ich Tellerwäscherin o<strong>der</strong> Millionärin. Ich arbeite prekär, o<strong>der</strong> ich forsche über prekäre<br />
Arbeit. So scheint es. Meine Arbeit gilt je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gleich: Als Verausgabung menschlicher<br />
Arbeit ohne Rücksicht auf die Form ihrer Verausgabung tut es nicht zur Sache, ob<br />
ich für McDonald’s Buletten brate, für den Staat Fuchspanzer steuere o<strong>der</strong> für eine Forschergruppe<br />
<strong>der</strong> Charité gegen Bezahlung Krankheiten simuliere. Indem ich all diese Tätigkeiten<br />
gleichermaßen gegen Geld tauschen kann und muss, bestätige ich nur die Logik<br />
des Wertes. Ich weiß es nicht, aber ich tue es tagtäglich. Ich will tauschen, weil ich es<br />
muss. Mein tägliches Tun muss auf dem Jahrmarkt <strong>der</strong> nützlichen und unnützen Waren<br />
verwertbar sein: als Lohnarbeit, Honorararbeit, Gehaltsarbeit, Gagearbeit, Schwarzarbeit.<br />
Sogar die hier formulierten Gedanken, mein denkendes Aufbegehren gegen diese Logik,<br />
ist Teil von ihr, bestätigt sie. Warum? Weil ich tausche: Arbeitskraft gegen Geld. Schreibende<br />
Kritik an den Verhältnissen, mit <strong>der</strong> ich zugleich monetär zu meinem Auskommen<br />
in ihnen beitrage. Verrückt.<br />
Auf dem Markt realisiert sich <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> buntscheckigen Waren. Wer nichts an<strong>der</strong>es zum<br />
Tauschen hat, muss die eigene Arbeitskraft anbieten. Ihre Verausgabung ist kein frei assoziiertes<br />
bewusstes Tun, son<strong>der</strong>n nur in ganz bestimmter Form anerkannt und vergütet: als Lohnarbeit.<br />
Wer sich ihr unterwirft und sich zu sich selbst als Ware verhält, kann tauschen. Nun<br />
scheint es im Kapitalismus selbstverständlich zu sein, dass die gesamte geleistete Arbeit bezahlt<br />
wird. So ist es im Alltagsdenken nahe liegend, einen »gerechten Lohn« zu for<strong>der</strong>n und<br />
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