Kritische Theorie der Krise - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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die Institutsleitung, die ihm von seinem Freund Pollock, <strong>der</strong> als Generalbevollmächtigter,<br />
mithin als Weils rechte Hand im Vorstand des Instituts fungierte, herangetragen wurde.<br />
Horkheimer war im Gegensatz zu Grünberg ohne die Schwermut des Alters. Er hatte<br />
gerade einen Lehrstuhl für Sozialphilosophie bekommen. In seiner Antrittsvorlesung »Die<br />
gegenwärtige Lage <strong>der</strong> Sozialphilosophie und die Aufgaben eines Instituts für Sozialforschung«<br />
96 hält er an dem Gedanken des jungen Marx: <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> »Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> Philosophie durch die befreiende Tat des Proletariats« 97 fest und formulierte das Programm<br />
des Instituts, nahm damit wesentliche Weichenstellungen für die von ihm entfaltete<br />
kritische <strong>Theorie</strong> vor. Es war zunächst eine Mischung aus Kontinuität und Bruch mit <strong>der</strong> von<br />
Grünberg anvisierten und geleisteten Programmatik. Horkheimer legte den Schwerpunkt <strong>der</strong><br />
Forschung aber nunmehr auf die verklärende Ideologie, die den Menschen die Einsicht in<br />
die gesellschaftlichen Verhältnisse erschwert und die Bedingungen einer befreienden Tat vernebeln<br />
lässt. Ihm ging es in <strong>der</strong> Phase eines heraufziehenden faschistischen Europas um die<br />
zentrale Frage, wie man Sinn und Vernunft in die Welt bringen kann, gleichsam um den aufklärerischen<br />
Impetus, <strong>der</strong> gemäß <strong>der</strong> elften Feuerbachthese den Funken von <strong>der</strong> <strong>Theorie</strong> auf<br />
die Praxis überträgt, ohne jedoch damit die <strong>Theorie</strong> aus den Augen zu verlieren, sie abzuwerten<br />
und einem sinnlosen, weil blinden Praktizismus zu verfallen: Die Verwirklichung <strong>der</strong><br />
Philosophie, <strong>der</strong>en dialektische Aufhebung, ist auf die befreiende Tat angewiesen; ohne diese<br />
ist sie bloß ein »Philosophischwerden <strong>der</strong> Welt im Buch«, 98 wie es bei Ernst Bloch heißt.<br />
Erste Verschiebung:<br />
Psychoanalyse als »Hilfswissenschaft <strong>der</strong> Geschichte«<br />
Neben Marx rückte nunmehr auch Freud ins Zentrum <strong>der</strong> Gesellschaftstheorie. Diese Paradigmenverschiebung<br />
wird zwei Jahre später mit Horkheimers Aufsatz »Geschichte und Psychologie«<br />
(1932) manifestiert. Darin geht Horkheimer <strong>der</strong> Frage nach, warum die Menschen<br />
in einer revolutionären Situation, statt die befreiende Tat zu vollziehen, ihren eigenen Henkern:<br />
den Faschisten den Weg zur Macht ebnen. Die Fragestellung ist abhängig von <strong>der</strong> Methodik<br />
des selbstreflexiven Marxismus, gleichsam <strong>der</strong>en konsequentes Weiterdenken parallel<br />
zur Zuspitzung <strong>der</strong> Verhältnisse, die den selbstreflexiven Marxismus seitens Lukács und<br />
Korschs auf den Plan gerufen haben. Das Weiterdenken allerdings geriet an die Grenzen <strong>der</strong><br />
theorieimmanenten Erklärbarkeit: Mit <strong>der</strong> Marxschen <strong>Theorie</strong> allein ließ sich keine zufriedenstellende<br />
Antwort auf die von Horkheimer gestellte Frage finden. Die Psychologie hielt<br />
mit Freuds Psychoanalyse neue Denkweisen bereit, die im Verbund mit Marx Licht in das<br />
sich auftuende Dunkel ungeklärter Fragen bringen konnte. Diese Verschiebung im Geschichtsbegriff<br />
macht im Wesentlichen kritische <strong>Theorie</strong> aus, die sich zwar immer noch<br />
96 Max Horkheimer: Die gegenwärtige Lage <strong>der</strong> Sozialphilosophie und die Aufgaben eines Instituts für Sozialforschung<br />
(1931), In: <strong>der</strong>s.: GS, Bd. 3, Frankfurt am Main 1988, S. 20-35.<br />
97 Wiggershaus: Die Frankfurter Schule, S. 52.<br />
98 Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Frankfurt am Main 1959, S. 1602.<br />
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