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Walter Johannes Steins

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gegenüberstellen kann, daß ich mich unterscheiden kann<br />

von meinem abgelebten Sein, das ich mir durch die Erinnerung<br />

in der Zeit bewahre, wie der Sohn in der Zeit bewahrt<br />

die Gestalt des Vaters.<br />

Während ich mich der Vergangenheit entsinne, zieht<br />

Bild nach Bild an mir vorüber. Manches, was da aufsteigt,<br />

erweckt meine Teilnahme, manches stimmt mich traurig.<br />

Und indem ich mich in dieser Teilnahme und in dieser Trauer<br />

darin erfühle, glaube ich für einen Augenblick das wahre<br />

Selbst erfaßt zu haben. Aber ein Erlebnis, das sich nun einstellt,<br />

belehrt mich eines Besseren. Ich muß mich nicht tragen<br />

lassen von diesen flutenden Erinnerungen, ich muß<br />

nicht untertauchen in die Gefühle, die sie erwecken. Ich<br />

kann aus dem Innersten meines Wesens den Ablauf der Erinnerungen<br />

beeinflussen, ja ich kann mir gewisse Gefühle<br />

geradezu verbieten, ich kann mich als moralisches Wesen in<br />

Gegensatz zu ihnen stellen. Und sobald ich dies Erlebnis gehabt<br />

habe, weiß ich, daß ich aus meinen Gefühlen, Leidenschaften<br />

und Begierden heraustreten kann und mich ihnen<br />

als moralisches Wesen gegenüberstelle. Und indem ich das<br />

voll erlebe, vermeine ich in dem Erleben des moralischen<br />

Elementes in mir mein wahres Selbst zu erfassen. Aber auch<br />

dies ist eine bloße Täuschung. Freilich ist sie schwerer zu<br />

durchschauen als die drei unteren Stufen. Sich zuerst seiner<br />

Leiblichkeit, dann seinen Erinnerungen, dann seinen<br />

Gefühlen, Leidenschaften und B e g i e r d e n als das<br />

selbstbewußte Ich gegenüberzustellen und sich so von ihnen<br />

zu unterscheiden, ist viel leichter als der v i e r t e Schritt,<br />

durch den wir aus unserem m o r a l i s c h e n Wesen heraustreten.<br />

Und doch muß auch dieser Schritt gemacht werden<br />

und er ist zuerst gemacht worden durch das Christentum.<br />

Das ist [15] die tiefe psychologische Grundlage des Christentums,<br />

daß es aus der mosaischen Moralnorm heraustritt.<br />

Wie hatte sich der Gott genannt, als dessen Gebot der Dekalog<br />

aus dem Sturm der Elemente unter Blitz und Donner ertönte?<br />

«Ich-Bin» hatte er sich genannt. Der «Ich-Bin», das ist<br />

sein Name. Und weil man einen anderen nicht «Ich-Bin»<br />

nennen kann, sondern nur sich selbst, ist das ein unaussprechlicher<br />

Name, den man eitel ausspricht, als Name eines<br />

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