Walter Johannes Steins
Walter Johannes Steins
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Vergangenes erschließen, wir können alte Überlieferungen<br />
entziffern, wir können die Naturgesetze erkennen und Zukünftiges<br />
voraussagen: als S e l b s t erlebnis ist die Vergangenheit<br />
und die Zukunft uns verschlossen. Ja, wir können<br />
uns denkend nicht einmal in der Gegenwart wissend erleben.<br />
Nur nachträglich erfassen wir unsere Denktätigkeit. Ist<br />
das überhaupt ein Dasein 63 )? Sind wir mehr, als «der sich<br />
selbst erlebende Widerspruch»! Gegen die Vergangenheit hin<br />
bricht sich unsere Erinnerung an den Zeiten, da wir unseren<br />
Leib aufgebaut und gestaltet haben. Wir haben keinen Eingang<br />
in die lebendig-schöpferische Tätigkeit, die uns erbaut.<br />
Gegen die Zukunft verfinstert sich unser Blick und das unergründliche<br />
Schicksal bleibt hinter verborgenen Schleiern.<br />
Und in der Gegenwart erfühlen wir uns nur als körperliches<br />
und seelisch-fühlsames Wesen, ohne unser wahres Sein erleben<br />
zu können.<br />
Könnten wir hineinblicken in die schöpferische Tätigkeit,<br />
welche uns in der Vergangenheit aufgebaut hat, wir würden<br />
verlöschen wollen vor Scham. Welche Welten mußten aufglänzen<br />
im weiten All, welche Jahrtausende und Aberjahrtausende<br />
der [53] Entwickelung waren notwendig, um unseren<br />
Leib hervorzubringen. Wieviel Generationen haben gelebt,<br />
um uns die Anlagen zu vererben, mit denen wir geboren<br />
63 In dem «cogito ergo sum» des Descartes wird dem «Ich» dieselbe Realität<br />
zugesprochen, welches das Denken als unbeobachtetes Element des gewöhnlichen<br />
Bewußtseins hat. «Alle anderen Dinge, alles andere Geschehen<br />
ist ohne mich da, ich weiß nicht, ob als Wahrheit, ob als Gaukelspiel und<br />
Traum. Nur eines weiß ich ganz unbedingt sicher, denn ich bringe es selbst<br />
zu seinem sicheren Dasein: mein Denken. Mag es noch einen andern Ursprung<br />
seines Daseins haben, mag es von Gott oder anderswoher kommen,<br />
daß es in dem Sinne da ist, in dem ich es selbst hervorbringe, dessen bin<br />
ich gewiß … Nun kann ich … fragen, existieren die anderen Dinge in dem<br />
gleichen oder in einem anderen Sinne?» R. Steiner, «Die Philosophie der<br />
Freiheit», 1894, S. 42, 43; 1918, S. 46, 47. Insbesondere aber muß ich fragen:<br />
Existiere ich in demselben Sinne wie mein Denken? Existiere ich als<br />
ein vor mir Verborgenes? Das kann nicht sein. Eine solche Existenz wäre<br />
vielleicht Bewußtsein von allem Möglichen, aber kein S e l b s t b e w u ß t -<br />
s e i n . Ich muß als selbstbewußtes Ich in einem a n d e r e n Sinne existieren,<br />
in einem Sinne, daß ich nicht bloß erschlossen (wie bei Eduard v.<br />
Hartmann z. B. oder bei Theodor Liehen) sondern mir «gegeben» sein muß.<br />
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