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Walter Johannes Steins

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ahnungslos vorbeigehen. Er hebt das Verborgene ans Tageslicht<br />

durch die L i e b e . Denn die Liebe ist die Kraft, durch<br />

welche der Mensch das verborgene Wesen hinter der offenbaren<br />

Erscheinung erfaßt. Darum findet Goethe auch den<br />

Weg aus der Isoliertheit des Ich zurück zur Natur. Sie, die<br />

Liebe, verbindet das Ich mit der Welt, denn was das Ich wie<br />

mit einer Mauer umschließt und von der Welt abtrennt, das<br />

ist uns verborgen. In der Wärme der Liebe sprießt und entfaltet<br />

sich aber das Verborgene zur offenbaren Blüte. Indem<br />

wir Liebe hegen für das Verborgene, indem wir das Verborgene<br />

in der eigenen Seele erleben, finden wir das wahre<br />

Wesen des Ich und zugleich den Weg zurück zur Natur.<br />

Wenn der Philosoph auf der Suche nach dem wahren Ich<br />

aus all dem herauszuschlüpfen versucht, was nicht «Ich» ist,<br />

so erlebt er etwas höchst Bedeutsames. Dieses Bedeutsame<br />

ist, daß er aus dem Denken nicht heraus kann. Er kann, solange<br />

er philosophiert, immer bloß denken. Er kann zwar<br />

auch über das Denken selbst nachdenken, aber doch eben<br />

wieder nur denkend. Und so scheint das Denken entweder<br />

das wahre Ich zu sein, oder das Denken verdeckt dem Philosophen<br />

das wahre Ich. Sobald man das bemerkt hat, stellt<br />

sich eine weitere Beobachtung ein. Die nämlich, daß das<br />

Denken nicht bloß das Ich, sondern sich selber verdeckt.<br />

Man kann zwar denken, ja sogar das eigene Tun, das man<br />

im Denkakt ausübte, nachträglich denkend betrachten, aber<br />

das aktuell gegenwärtige Denken schwebt nun doch wieder<br />

im Hintergrund, und man kann es nicht erhaschen. Man<br />

kann sich in seiner Denktätigkeit als ein Tätiger nicht [21]<br />

anschauen. Man kann nur nachträglich überschauen, was<br />

man eben denkend getan hat 23 ).<br />

«Das ist die eigentümliche Natur des Denkens, daß der<br />

Denkende das Denken vergißt, während er es ausübt. Nicht<br />

das Denken beschäftigt ihn, sondern nur der Gegenstand<br />

des Denkens, den er beobachtet.<br />

23 Vgl. W. J. Stein, «Rudolf Steiner als Philosoph und Theosoph», eine Antwort<br />

auf die erste und zweite Auflage der gleichnamigen Schrift Dr. Friedrich<br />

Traub's, Tübingen, S. 11. (Der Kommende Tag A.=G., Verlag 1921.)<br />

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