Walter Johannes Steins
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Seele 103 ). Wer weiß nicht, der je Musik voll erlebt hat, daß es<br />
die ganze Seele mit all ihren Tiefen und Weiten ist, die hört!<br />
Aber das gewöhnliche Bewußtsein vermag die Vorgänge des<br />
Obersinnlichen erst zu erfassen, wenn der eigene Organismus<br />
sie vermittelt, weil es mit seinem Lebensgefühl und mit<br />
seiner Empfindung die Grenze der eigenen Leiblichkeit nicht<br />
zu überschreiten vermag und alles Bewußtsein an den leiblichen<br />
Organismus gebunden ist. Wer den Ton als T o n im<br />
R a u m e erleben wollte, der müßte ein Organ haben, welches<br />
Geistig-Seelisch-Lebendiges objektiv, d.h. ohne Vermittlung<br />
des leiblichen Organismus erfassen kann. Man müßte mit<br />
der Schmerzempfindung in die ganze Welt so untertauchen<br />
können, wie man im gewöhnlichen Bewußtsein in den eigenen<br />
Leib untertaucht mit seiner Schmerzempfindung. Man<br />
müßte also, wenn man einem anderen Schmerz bereitet,<br />
nicht etwa die Gefühle und Empfindungen erleben, die man<br />
selbst dadurch hat, sondern den f r e m d e n Schmerz müßte<br />
man empfinden. In eine Welt müßte man untertauchen, die<br />
als fremde doch zugleich die eigene Leibeswelt wäre, die eigene<br />
Seelenwelt müßte voll eintauchen in ihre Umgebung,<br />
wie man das freilich in ganz unvollkommener Weise tut,<br />
wenn man beim Schmerzschrei eines Wesens, diesen miterlebend,<br />
erschauert.<br />
[89] Dieses Untertauchen in das fremde Seelische ist<br />
dem gewöhnlichen Bewußtsein beinahe ganz versagt, weil es<br />
den Punkt, wo subjektiv und objektiv zusammentreffen, zwar<br />
scharf, aber noch nicht ganz richtig sondert. Und solange<br />
dies der Fall ist, behält die eine Quelle aller Täuschung ihre<br />
Macht über den Menschen.<br />
Die andere Quelle aller Täuschung zeigt ihre Wirksamkeit<br />
da, wo man Einheiten aus solchen Besonderheiten bildet,<br />
denen eine Einheit, als Verborgene, nicht schon<br />
zugrunde liegt. Wenn man also realistisch verfährt, wo der<br />
Nominalismus am Platze ist. Denn was nicht schon seinem<br />
Wesen nach zu einer Einheit verbunden ist, das kann bloß<br />
103 Vgl. Richard Wahle, «Der Mechanismus des geistigen Lebens». Wien und<br />
Leipzig, W. Braumüller 1906, S. 358-361.<br />
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