Walter Johannes Steins
Walter Johannes Steins
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Die erste Beobachtung, die wir über das Denken machen,<br />
ist also die, daß es das unbeobachtete Element unseres<br />
gewöhnlichen Geisteslebens ist.<br />
Der Grund, warum wir das Denken im alltäglichen Geistesleben<br />
nicht beobachten, ist kein anderer als der, daß es<br />
auf unserer eigenen Tätigkeit beruht. Was ich nicht selbst<br />
hervor bringe, tritt als ein Gegenständliches in mein Beobachtungsfeld<br />
ein. Ich sehe mich ihm als einem ohne mich<br />
Zustandegekommenen gegenüber; es tritt an mich heran; ich<br />
muß es als die Voraussetzung meines Denkprozesses hinnehmen.<br />
Während ich über den Gegenstand nachdenke, bin<br />
ich mit diesem beschäftigt, mein Blick ist ihm zugewandt.<br />
Diese Beschäftigung ist eben die denkende Betrachtung.<br />
Nicht auf meine Tätigkeit, sondern auf das Objekt dieser Tätigkeit<br />
ist meine Aufmerksamkeit gerichtet. Mit anderen<br />
Worten: während ich denke, sehe ich nicht auf mein Denken,<br />
das ich selbst hervorbringe, sondern auf das Objekt des<br />
Denkens, das ich nicht hervorbringe.<br />
Ich bin sogar in demselben Fall, wenn ich ... über mein<br />
Denken selbst nachdenke. Ich kann mein gegenwärtiges<br />
Denken nie beobachten; sondern nur die Erfahrungen, die<br />
ich über meinen Denkprozeß gemacht habe, kann ich nachher<br />
zum Objekt des Denkens machen. Ich müßte mich in<br />
zwei Persönlichkeiten spalten: in eine, die denkt, und in die<br />
andere, welche sich bei diesem Denken selbst zusieht, wenn<br />
ich mein gegenwärtiges Denken beobachten wollte. Das kann<br />
ich nicht 24 ).» [22] Und weil und solange ich das nicht kann,<br />
24 R. Steiner, «Die Philosophie der Freiheit», 1894, S. 39; 1918 S. 42-43.<br />
Man vergleiche hiezu die philosophischen Versuche über die menschliche<br />
Natur und ihre Entwickelung von Johann Nicolas Tetens, Professor der<br />
Philosophie zu Kiel, Leipzig (Weidmanns Erben & Reich) 1777, Bd. I, S. 46f.<br />
«Es ist beobachtet worden, und es läßt sich unmittelbar und deutlich genug<br />
beobachten, daß man in eben demselbigen Augenblick, in dem wir uns einer<br />
Sache bewußt sind, indem wir über sie reflektieren und unsere Denkungstätigkeit<br />
auf sie verwenden, nicht daran gedenke, daß man denke.<br />
Man ist sich nicht bewußt, daß man sich einer Sache bewußt sey; jenes<br />
nemlich nicht in demselbigen Augenblick, worinn man dieses ist. Über unsere<br />
eigene Reflexion reflektieren wir nicht in demselbigen Augenblick, in<br />
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