Walter Johannes Steins
Walter Johannes Steins
Walter Johannes Steins
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
dieses Bewußtsein, welches wir das intuitive nennen wollen,<br />
ein solches, das erlebt, was wir denkend immer tun, wovon<br />
wir aber im gewöhnlichen Bewußtsein nur die Vorstellung,<br />
nicht das Erlebnis haben können. Weil die Naturwissenschaft<br />
die Wege in dieses übersinnliche Bewußtsein nicht<br />
findet, die ihre Methode sucht, befindet sie sich in dem Fall,<br />
entweder erkennen zu müssen, daß ihr «Gegebenes» ein e r -<br />
l e b t e s «Gegebenes» nur für ein anderes als das gewöhnliche<br />
Bewußtsein ist, oder aber sich über die Natur dieses «Gegebenen»<br />
einer Täuschung hinzugeben. Und dies letztere ist<br />
denn auch der Fall und die Naturwissenschaft glaubt, die<br />
S i n n e n w e l t sei das ihr «Gegebene». Aber damit die Sinnenwelt<br />
als das «Gegebene» sich erweise, dazu ist eine ganz<br />
andere Aussonderungsregel nötig, als die der Naturwissenschaft,<br />
und d i e s e Regel ist die, welche G o e t h e seinen Naturbetrachtungen<br />
zugrunde gelegt hat.<br />
In dem Aufsatz «der Versuch als Vermittler von Objekt<br />
und Subjekt», der etwa 1793 verfaßt, 1823 gedruckt wurde,<br />
spricht Goethe seine Aussonderungsregel und damit seine<br />
Methode aus und legt so fest, was ihm als das «Gegebene»<br />
der Naturwissenschaft gelten muß: «Sobald der Mensch die<br />
Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in<br />
bezug auf sich selbst, und mit Recht. Denn es hängt sein<br />
ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen.<br />
Diese ganz natürliche Art, die Sachen anzusehen und zu<br />
beurteilen, scheint so leicht zu sein, als sie notwendig ist,<br />
und doch ist der Mensch [40] dabei tausend Irrtümern ausgesetzt,<br />
die ihn oft beschämen und ihm das Leben verbittern.<br />
Ein weit schwereres Tagewerk übernehmen diejenigen,<br />
deren lebhafter Trieb nach Kenntnis die Gegenstände der<br />
Natur an sich selbst und in ihren Verhältnissen untereinander<br />
zu beobachten strebt: denn sie vermissen bald den Maßstab<br />
des Gefallens und Mißfallens, des Anziehens und Abstoßens,<br />
des Nutzens und Schadens; diesem sollen sie ganz<br />
entsagen, sie sollen als gleichgültige und gleichsam göttliche<br />
Wesen suchen und untersuchen was ist, und nicht was behagt.<br />
So soll den echten Botaniker weder die Schönheit noch<br />
die Nutzbarkeit der Pflanzen rühren, er soll ihre Bildung, ihr<br />
39