Walter Johannes Steins
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Erlebnisse dieses Bewußtseins vom gewöhnlichen Bewußtsein,<br />
das wir als wache [47] Menschen haben, nicht erinnert<br />
werden. Nun gibt es aber auch Erlebnisse des gewöhnlichen<br />
Bewußtseins, die unwiederbringlich verloren erscheinen,<br />
und das sind die vergessenen Vorstellungen. Sehen wir einmal,<br />
wohin denn eine vergessene Vorstellung eigentlich<br />
kommt. Als wir schreiben lernten 58 ), da hat uns der Lehrer<br />
genau vorgezeigt, wie wir die Feder halten müssen, wie Haar-<br />
und Schattenstriche zu machen sind. Damals haben wir seine<br />
Worte in unser Gedächtnis aufgenommen und bei jedem<br />
Haar- und Schattenstrich waren uns seine Lehren gegenwärtig.<br />
Aber solange dies der Fall war, so lange hätte niemand,<br />
der unser mühsam zustandegebrachtes Machwerk betrachtet<br />
hätte, sagen können, wir hätten die Fähigkeit des Schreibens<br />
schon erworben. Zur Fähigkeit wurde uns das Schreiben<br />
erst, als die einzelnen Ermahnungen des Lehrers lange<br />
vergessen waren. Nun hatten wir die Sache im «Handgelenk».<br />
Sie war uns «in Fleisch und Blut» übergegangen 59 ).<br />
Ähnliches kann man überall beobachten, wo Vorstellungen<br />
vergessen werden. Erst werden die Vorstellungen noch<br />
als deutliche Bilder heraufgeholt aus den Tiefen des Bewußtseins.<br />
Dann blassen sie ab. Je blasser, je bildloser sie<br />
werden, desto willensartiger erscheinen sie, desto verwandter<br />
sind sie der Fähigkeit. Diese ist völlig unanschaulich, ein<br />
rein Potentielles. Aus der vom Willen ergriffenen, durch die<br />
Tore des Vergessens gezogenen Vorstellung wird ein zwar<br />
58 Dieses Beispiel stammt von R. Steiner, der es wiederholt zur Erläuterung<br />
des Tatbestandes gebraucht hat, auf den es hier ankommt.<br />
59 In einem Vortrage, der betitelt war: «Der menschliche Charakter», den R.<br />
Steiner im Jahre 1909 in Berlin (Architektenhaus) hielt, führte er aus: Derjenige,<br />
der das Leben beobachtet, der wird wissen, was sich schon alltäglich<br />
zeigt: Wenn wir uns bemühen, dies oder jenes uns einzuprägen, dann erfährt<br />
das Einprägen und Behalten eine wesentliche Förderung, wenn wir<br />
wiederum darüber schlafen können. Dann wird es unser Eigentum. Und so<br />
ist es im ganzen menschlichen Leben. Dasjenige, was wir an Erlebnissen<br />
durchmachen, das muß sozusagen sich vereinigen mit unserer Seele, das<br />
muß von dieser verarbeitet werden, das muß gerinnen gemacht werden, um<br />
in Fähigkeit umgebildet zu werden. Und dieser ganze letztere Prozeß geschieht<br />
von der Seele während des Schlafzustandes.»<br />
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