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Walter Johannes Steins

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Und so kann man auch die Wirklichkeit des Denkens<br />

nicht erfassen, wenn man b l o ß das L o g i s c h e am Denken<br />

beachtet. Das Denken, das für das gewöhnliche Bewußtsein<br />

unbeobachtetes Element ist, muß nicht bloß g e d a c h t , sondern<br />

auch b e o b a c h t e t werden. Das Denken selbst muß<br />

wahrgenommen werden. Mit dieser Forderung deuten wir auf<br />

ein Zweifaches im Denken. Einmal auf das, was jeder kennt,<br />

das in der Erinnerung anschaubare Denken, von dem z. B.<br />

Husserl spricht. Dann auf das aktuell gegenwärtige Denken,<br />

das völlig unanschaulich ist für das gewöhnliche Bewußtsein.<br />

Und es entsteht die Frage: was sind diese beiden in ihrem<br />

Verhältnis zueinander. Oder anders ausgedrückt: was<br />

vom Denken kann erinnert werden und was ist das, was in<br />

der Erinnerung nicht erfaßt werden kann? Was ist der Teil<br />

des Denkens, der in das gewöhnliche Bewußtsein deshalb<br />

nicht eingeht, weil dieses Bewußtsein des Denkens nicht anders,<br />

als in der Erinnerung habhaft wird? Die Beantwortung<br />

dieser Frage ist von der größten Bedeutung. Es ist nämlich<br />

in der Erinnerung nur d a s festhaltbar, was seinem Wesen<br />

nach nicht zerstört wird, wenn man es starr, bewegungslos<br />

macht. Die Erinnerung bewahrt zwar äußere Gestalten, Bilder,<br />

Formen, auch Werdeprozesse im Objektiven. Wir haben<br />

aber kein Erinnerungsvermögen für Werdeprozesse des Denkens.<br />

Das Bewegte als Bewegtes, das Lebendige als Lebendiges,<br />

kann erinnert werden im Objektiven – das Werden des<br />

Denkens selbst aber so wenig, wie eine Pflanze frisch bleiben<br />

und Blätter und Blüten entwickeln kann, wenn man sie in<br />

ein [30] Herbarium legt. Wir können sozusagen nur den Gedanken<br />

l e i c h n a m erinnern 33 ). Das Tätig-Lebendige des<br />

Denkens, das in fortwährender Metamorphose sich befindet,<br />

kann nicht erinnert werden. Die Erinnerung ist immer die<br />

Erinnerung an etwas, an ein bildliches, bestimmtes, geformtes,<br />

sich gestaltendes Dieses-da. Das Denken als aktuell Gegenwärtiges<br />

ist aber kein festlegbarer, sondern ein belebter,<br />

in sich versatiler, durch und durch beweglicher Prozeß, der<br />

33 Vgl. «Von Seelenrätseln» (I. Anthropologie und Anthroposophie, II. Max<br />

Dessoir über Anthroposophie, III. Franz Brentano (ein Nachruf) von Rudolf<br />

Steiner, Berlin 1917, S. 213-218: «Von der Abstraktheit der Begriffe».<br />

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