Walter Johannes Steins
Walter Johannes Steins
Walter Johannes Steins
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ge 70 )». Damit die Wahrheit m e i n e Wahrheit wird, muß ich<br />
sie subjektiv der o b j e k t i v e n Wahrheit gemäß in mir erschaffen.<br />
Wahrheit ist sie aber nicht dadurch, daß das so<br />
subjektiv in mir Erzeugte mit etwas Äußerem ü b e r e i n -<br />
s t i m m t , sondern deshalb, weil ich nach Prinzipien verfahre<br />
in dem Prozeß dieses Nachschaffens, welche dieselben sind<br />
in den vielen Individuen. Dadurch, daß ich der Natur ihre<br />
V e r f a h r u n g s w e i s e abschaue, dadurch mache ich mich<br />
zum Organ, das Natur erkennen kann. «Das Begreifen der<br />
Natur ist für Goethe ein geistiges Nachschaffen ihrer Werke.<br />
Ein bekannter Philosoph unserer Zeit (Moriz Carriere, die<br />
philos. Weltanschauung) verlangt von einer befriedigenden<br />
Weltanschauung, daß sie den großen Gedanken der Schöpfung<br />
nachdenke ... Der Schlußgedanke des Gedichtes<br />
ΑΘΡΟΙΣΜΟΣ: (Metamorphose der Tiere) spricht denselben<br />
Gedanken aus:<br />
«Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur, du fühlest<br />
dich fähig, Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend<br />
sich aufschwang, N a c h z u d e n k e n 71 )».<br />
Aber dieses Nocheinmaldenken, dieses geistige Nachschaffen<br />
ist nicht zu verwechseln mit einem Abbilden. Es ist<br />
nicht so, daß draußen Natur ist und nun der Mensch im Erkenntnisprozeß<br />
Natur als geistiges Spiegelbild noch einmal<br />
schafft. Dies geht deutlich aus Goethes Worten hervor, die er<br />
im Aufsatz «Anschauende Urteilskraft» gebraucht. Er sagt<br />
dort, es dürfte wohl der Fall sein, «daß wir uns durch das<br />
Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen<br />
Teilnahme an ihren Produktionen würdig machten 72 )».<br />
Dieses N a c h -denken dessen, was Natur v o r - gedacht<br />
hat, ist für Goethe ein fundamentales Problem. In den beiden<br />
Gestalten des E p i - metheus und des P r o - metheus hat<br />
er es in dem Festspiel Pandora in poetischer Art behandelt.<br />
70 Goethes Werke, Bd. XXXVI 2, S. 349.<br />
71 Goethes Werke, Bd. XXXIII, S. 116, Anm. R. Steiners.<br />
72 Goethes Werke, Bd. XXXIII, S. 116.<br />
57