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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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2. Zeitspuren. Zum gesellschaftspolitischen und literarischen<br />

Kontext<br />

2.1. Die Schweiz im Kalten Krieg<br />

2.1.1. Schweizerische Geschichtspolitik und der „Fall <strong>Meienberg</strong>“<br />

Aber soll man denn vor allem danach streben,<br />

dass alle die gleiche Meinung haben, soll man<br />

wünschen, dass alle guten Schweizer gleich<br />

denken, dass unser nationales Leben in einem<br />

trüben Konformismus versinkt?<br />

(Jean Rudolf von Salis)<br />

Am 12. Juli 1977 wurde am Bezirksgericht Zürich ein bemerkenswerter Fall verhandelt. 51<br />

Franz Ulrich und Jürg Wille, die beiden Söhne des ehemaligen Korpskommandanten der<br />

Schweizer Armee Ulrich Wille (1877-1959), 52 begehrten vom Audienzrichter, dass dieser<br />

dem Schriftsteller <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong> untersage, ihren Vater in einer am Zürcher Neumarkt-<br />

Theater geplanten „szenischen Reportage“ als „Landesverräter“ zu bezeichnen. „Es sei dem<br />

Beklagten im Sinne einer vorsorglichen Massnahme zu untersagen, in seinen literarischen Erzeugnissen<br />

aller Art den verstorbenen Vater der Kläger, Korpskommandant Ulrich Wille, als<br />

Landesverräter zu bezeichnen, ihn sinngemäss als Landesverräter zu bezeichnen, seine Handlungen<br />

sinngemäss als landesverräterisch zu bezeichnen, ihm sonstwie seine vaterländische<br />

Gesinnung abzusprechen und zwar unter Androhung der Überweisung an den Strafrichter wegen<br />

Ungehorsam“, hiess es in der Klageschrift. 53 Als Grund für ihr Begehren führten die<br />

Gebrüder Wille die befürchtete Verletzung ihrer eigenen Pesönlichkeitsrechte an, die aufgrund<br />

einschlägiger Präzedenzien seitens des Autors zu erwarten sei. 54<br />

Dem Prozess vorausgegangen war ein längeres Vorspiel um die Finanzierung des Theaterprojekts,<br />

das den Arbeitstitel „Demokratie und Landesverrat“ trug. Die Stadt Zürich lehnte den<br />

erhofften Beitrag für das noch ungeschriebene <strong>Meienberg</strong>-Stück ebenso ab wie der Verwaltungsrat<br />

des Neumarkt-Theaters den dadurch notwendig gewordenen Zusatzkredit; beide mit<br />

der Begründung, dass rechtliche Auseinandersetzungen zu befürchten seien. 55 Nun war diese<br />

Vermutung in der Tat nicht aus der Luft gegriffen, hatten doch die Gebrüder Wille kurz zuvor<br />

– notabene in exakt derselben Angelegenheit – bereits gegen die Ausstrahlung des Dokumentarfilmes<br />

von Richard Dindo und <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong> „Die Erschiessung des Landesverräters<br />

51 Die bisher ausführlichste Darstellung des <strong>Meienberg</strong>/Wille-Prozesses stammt vom Juristen Hanspeter Uster:<br />

„Der Prozess um des Esels Schatten. Ein ungeschriebenes Theaterstück auf der Anklagebank“, in: Durrer/Lukesch<br />

1988: 83-100. Uster versteht den Prozess in Anlehnung an Wielands „Geschichte der Abderiten“<br />

als Groteske. Ich würde eine symptomatische Lektüre vorziehen: Form und Inhalt der Anklage sind dann ein<br />

Indiz für grundlegendere gesellschaftspolitische und mentale Gegebenheiten.<br />

52 Nicht zu verwechseln mit seinem gleichnamigen Vater Ulrich Wille (1848-1925), dem General der<br />

Schweizer Armee während des Ersten Weltkrieges.<br />

53 Schweizerisches Literaturarchiv (SLA), Nachlass <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong> (NM), NM C-3/8.<br />

54 Uster 1988: 91.<br />

55 Fehr 1999: 233; Uster 1988: 83-89.<br />

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