29.08.2013 Aufrufe

„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

2.1.3. Tendenzen der deutschsprachigen Schweizer Literatur von den 60er bis<br />

zu den 80er Jahren<br />

In der Geschichtswissenschaft wurde <strong>Meienberg</strong>s Werk bisher kaum rezipiert. 148 Anders in<br />

der Literaturwissenschaft: Seine Name taucht in sämtlichen hier verwendeten Überblickswerken<br />

auf. 149 Hatten die ersten beiden Kapitel über die Schweiz im Kalten Krieg den Zweck, die<br />

für das Verständnis von <strong>Meienberg</strong>s Werk unentbehrlichen historischen und gesellschaftspolitischen<br />

Rahmenbedingungen zu skizzieren, so soll in diesem Kapitel eine literaturwissenschaftliche<br />

Perspektive eröffnet werden: Wie wird <strong>Meienberg</strong> von der Forschung innerhalb<br />

der neueren Deutschschweizer Gegenwartsliteratur verortet?<br />

In den 60er Jahren ereignete sich in der Deutschschweizer Literatur ein breiter, von sämtlichen<br />

wichtigen Autoren getragener Ausbruch aus dem gemeinschaftsideologischen Korsett<br />

der reaktivierten geistigen Landesverteidigung. Dieser abrupte Paradigmenwechsel wird meist<br />

in Verbindung gebracht mit dem Auftritt einer neuen Schriftsteller-Generation, die mit Namen<br />

wie Otto F. Walter, Peter Bichsel, Adolf Muschg, Kurt Marti, Hugo Loetscher und Walter<br />

Matthias Diggelmann, um nur die wichtigsten zu nennen, umrissen werden kann. 150 Zentraler<br />

Impetus dieses literarischen Aus- und Aufbruchs war eine fundamentale Distanzierung<br />

von der Vorgänger-Generation, welcher die kritiklose Affirmation von Staat und mythenverbrämtem<br />

Geschichtsbild vorgeworfen wurde. Der prototypische Repräsentant dieser noch bis<br />

in die 60er Jahre tonangebenden Schriftstellergeneration der Aktivdienst-Ära ist selbstredend<br />

nicht Max Frisch – er ist umgekehrt gerade der geistige Wegbereiter des neuen selbstkritischen<br />

Reflexionsprozesses –, sondern weit eher Kurt Guggenheim, der mit seiner Tetralogie<br />

Alles in allem 151 (1952-55) eine sozusagen staatstragende Familiengeschichte der ersten Jahrhunderthälfte<br />

vorgelegt hatte. Guggenheim feierte die Schweiz darin als Ort der Freiheit, Ver-<br />

148 Eine Ausnahme bildet hier die im letzten Kapitel diskutierte erste Forschung zur Geschichtsbild-Debatte.<br />

149 Dieses Kapitel stützt sich hauptsächlich auf die erste grosse Strukturgeschichte der deutschsprachigen<br />

Schweizer Gegenwartsliteratur: Aeschbacher 1998. Hinzugezogen wurden ausserdem: Szabó, János 1989:<br />

„Erzieher und Verweigerer. Zur deutschsprachigen Gegenwartsprosa der Schweiz“, Würzburg; Pezold, Klaus<br />

1991: „Die Jahrzehnte des Aufschwungs. Literatur und literarisches Leben von Anfang der sechziger bis Ende<br />

der achtziger Jahre“, in: ders. (Hg.): Geschichte der deutschsprachigen Schweizer Literatur im 20. Jahrhundert,<br />

Berlin, 167-213. Butler, Michael; Pender, Malcolm (Hg.) 1991: Rejection and Emancipation. Writing<br />

in German-speaking Switzerland 1945-1991“, New York. Für einen knappen Überblick der Jahre 1945-<br />

1967 ausserdem: Siegrist, Christoph 1986: „Nationalliterarische Aspekte bei Schweizer Autoren“, in: Ludwig<br />

Fischer (Hg.): Literatur in der Bundesrepublik bis 1967, München, 651-671. Für einen knappen Überblick<br />

der Jahre nach 1968: Zingg, Martin 1992: „Besuch in der Schweiz“, in: Klaus Briegleb; Sigrid Weigel (Hg.):<br />

Gegenwartsliteratur seit 1968, München, 643-666; Obermüller, Klara 1981: „Die Literatur der Gegenwart in<br />

der Schweiz“, in: Manfred Durzak (Hg.): Deutsche Gegenwartsliteratur. Ausgangspositionen und aktuelle<br />

Entwicklungen, Stuttgart, 620-631.<br />

150 Dieses Generationenmodell der Deutschschweizer Gegenwartsliteratur betrachtet Max Frisch und Friedrich<br />

Dürrenmatt dabei als erste Generation. Die zweite Generation umfasst jene oben genannten Autoren, die<br />

Anfang der 60er Jahre zu schreiben begannen. Zur dritten Generation gehören jene, die während oder kurz<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden und Anfang der 70er Jahre in die Öffentlichkeit traten, darunter<br />

auch <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong>. Als vierte Generation werden diejenigen Autorinnen und Autoren bezeichnet,<br />

die in den 50er Jahren geboren wurden. Kritisiert wird dieses Generationenmodell bisher einzig von Aeschbacher:<br />

Es fasst die einzelnen Generationen als statische Blöcke und vermag Auseinander- und Weiterentwicklungen<br />

innerhalb einer Generation nicht darzustellen. Aeschbacher präferiert deshalb den Darstellungsmodus<br />

des „Strukturaufrisses“.<br />

151 Guggenheim, Kurt: „Alles in allem“, [2. Aufl.], Zürich 1961.<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!