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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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Zitat aus einem Brief des Generals Ulrich Wille an seine Frau:<br />

„Da ich Nöllis Einladung zu dem Abend angenommen, Criska ihr gutes Essen gekocht und ich auch<br />

sonst gerne hinging, fuhr ich doch nach Thun. Es war sehr nett da, Alles sehr hübsch, auch recht gut<br />

gekocht, [...].“ (W, 51)<br />

Parodistisches Zitat:<br />

„Der Landesstreik war dann auch sehr hübsch, auch recht gut gekocht.“ (W, 51)<br />

Eine zweite Form der Parodie in Wille und Wahn bildet die Übererfüllung und Verzerrung des<br />

‚elaborierten Codes‘, mit welchem <strong>Meienberg</strong> über den Wille-Clan spricht. Das parodistische<br />

Moment ist dabei latent in den meisten dieser Begriffe vorhanden – bei einigen tritt es offen<br />

zutage. Wenn die Generalin den historischen Flügel „wedelnd karessiert“ (W, 7), wenn der<br />

Abbé Liszt sie „in ihrer Jugend Maienblüte“ (W, 7) begehrte und wenn die Vögel auf Gut Bocken,<br />

statt zu pfeifen, „quinquillieren“ 693 (W, 91) – um nur einige wenige Beispiele zu nennen<br />

–, dann sind das alles Elemente jenes Witzes, die diesen Text so unterhaltsam machen.<br />

Die bisher diskutierten rhetorischen Figuren der Ironie, des Sarkasmus und der Parodie verfügen<br />

alle über dieselbe grundlegende funktionale Doppelung des Witzes und der Kritik. Hinter<br />

der Heiterkeit, aber auch hinter dem Spott verbergen sich bei <strong>Meienberg</strong> <strong>zum</strong>eist ernsthafte<br />

Anliegen: Kritik an Zuständen, Kritik an Personen und am Sprachgebrauch, Aufklärung sowie<br />

Anregung <strong>zum</strong> Nachdenken. 694 Es ist m.E. ein erstrangiges Qualitätsmerkmal von <strong>Meienberg</strong>s<br />

historischen Arbeiten, dass er die Angriffe, die er in ihnen ausführt und die Kritik, die er in<br />

ihnen anbringt, nicht auf eine direkt moralisierende, eindimensionale Art und Weise vorträgt,<br />

sondern meistens auf eine indirekte, sprachlich interessante, zugleich unterhaltende. Der Witz<br />

und die sprachliche Raffinesse sind entscheidende Gründe dafür, dass diese Texte auch heute<br />

noch sehr lesbar sind. Nun treten die Aggressivität, der Witz und das Unterhaltende aber nicht<br />

nur in diesen rhetorischen Doppelstrukturen, sondern auch für sich alleine auf: in der Polemik<br />

einerseits, im Wortspiel und Wortwitz andererseits.<br />

Anders als Ironie, Sarkasmus und Parodie, die indirekte Formen des Spottes und der Kritik<br />

darstellen, zeichnet sich die Polemik durch direkte, aggressive Kritik aus. Wiederum sind polemische<br />

Passagen ausschliesslich in Ernst S. und Wille und Wahn anzutreffen. Die berühm-<br />

teste polemische Passage aus der ersten historischen Arbeit ist wohl die folgende:<br />

„Oben nannte man es ‚politische Verwirrung‘, wie bei Mettler-Specker oder ‚fehlende Rücksichtnahme<br />

auf das Urteil der Öffentlichkeit‘ (sagte der Stadtrat im Fall Kappeler). Unten nannte man es ‚Landesverrat‘,<br />

wie bei Ernst S. Oben wurde pensioniert, unten wurde füsiliert.“ (E, 68)<br />

Bemerkenswert ist in dieser geradezu klassischen polemischen Zuspitzung nicht nur <strong>Meienberg</strong>s<br />

Fähigkeit, einen komplexen politischen Sachverhalt in einer einzigen prägnanten Formel<br />

zu konzentrieren, sondern auch die rhythmische Struktur des Satzes: Wie ein gemächli-<br />

693 Mit dem Verb „quinquillieren“ referiert <strong>Meienberg</strong> auf die dichterische Sprache des 19. Jahrhunderts –<br />

genauer: auf die Kultur des deutschen Bürgertums –, denn es ist ein Zitat aus Wilhelm Buschs Gedicht „Es<br />

sitzt ein Vogel auf dem Leim“. Die Stelle lautet folgendermassen: „[...] So will ich keine Zeit verlieren / Will<br />

noch ein wenig quinquillieren / Und lustig pfeifen wie zuvor. [...].“ (Busch, Wilhelm: „Es sitzt ein Vogel auf<br />

dem Leim“, in: W.B.: Gesamtausgabe in vier Bänden, hg. von Friedrich Bohne, [Bd. II], Wiesbaden 1959,<br />

495.)<br />

694 Vgl. hierzu: Kohvakka, Hannele 1997: „Ironie und Text. Zur Ergründung von Ironie auf der Ebene des<br />

sprachlichen Textes“, Frankfurt/M., 20-22; Vierhufe 1999: 36; Kneip 1993: 16.<br />

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