„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
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ist hier allerdings, dass bei <strong>Meienberg</strong> stellenweise auch eine relativ undifferenzierte, politisch<br />
motivierte Hypostasierung des Schweizerdeutschen zu beobachten ist. In der Mundart glaubte<br />
er den letzten Rest noch nicht instrumentalisierter, „authentischer Sprache“ zu entdecken. 510<br />
Die Sprache des Volkes als „Volksvermögen“, 511 als Ort der Unverfälschtheit, Reinheit und<br />
‚Beseeltheit‘ tritt dann in einen dichotomen Gegensatz zu der seiner Ansicht nach politisch<br />
missbrauchten, verwalteten, technokratischen, seelenlosen Sprache des Beamtentums und der<br />
Wissenschaft.<br />
Mit dem Konzept des Ikonismus allein ist jedoch <strong>Meienberg</strong>s vielseitiger sprachlicher Darbietungsmodus<br />
nicht zu erklären. Es gibt auch einen verfremdenden, parodistischen und ironischen<br />
Sprachgebrauch – und nicht zuletzt, gerade im Hinblick auf seine Joyce-Rezeption, eine<br />
Art funktionalen Überschuss, der ohne jegliche spezifische Aufgabe bleibt: Es ist das Spielerische<br />
und das Unterhaltende. Wortwitz und Humor sind wesentliche Bestandteile seiner<br />
Sprache. Alle diese Aspekte werden in der empirischen Sprachanalyse in Kapitel 4.1.3. näher<br />
diskutiert.<br />
3.3.3. Der Literaturbegriff<br />
3.3.3.1. Stil<br />
Der Stil-Begriff <strong>Meienberg</strong>s setzt sich aus seinen spezifischen Ambitionen und Intentionen<br />
auf drei verschiedenen Ebenen zusammen. Erstens aus der operativen Zielrichtung, die aus<br />
seinem intellektuellen Selbstverständnis resultiert: Die Sprache soll etwas bewirken. Zweitens<br />
aus seinem ästhetischen Konzept einer ikonischen Sprachverwendung: Die Sprache soll dem<br />
Gegenstand, von dem sie handelt, angepasst sein. Drittens aus seinem rhetorischen Wirkungskonzept,<br />
das sich im Begriff der Empathie kristallisiert: Die Sprache soll die Gefühle des Autors<br />
widerspiegeln, damit der Leser berührt und aufgerüttelt wird. Die Kategorie des Stils<br />
stellt damit eine Art Schnittpunkt verschiedener einzelner Ansätze dar und soll hier nur recht<br />
knapp behandelt werden. 512<br />
Stil ist für <strong>Meienberg</strong> eine individuelle, persönliche Angelegenheit. Jede Normierung und<br />
Standardisierung des Stils – wie er sie beispielsweise in der Sprache des Nachrichtenmagazins<br />
„Der Spiegel“ beobachtete – lehnte er strikte ab. „[...] denn ein guter Stil lässt sich von der<br />
Person nicht trennen, ohne dass man sie vernichtet, der Stil ist die Person.“ 513 <strong>Meienberg</strong> geht<br />
von einer anzustrebenden Einheit von Schreiben und Schreibendem aus. Ein zweiter wichtiger<br />
Punkt ist sein Konzept des Ikonismus, das hinter seiner Kritik an der ‚politisch korrekten‘,<br />
aber hölzernen linken Belletristik steht: „Bei einigen dieser Schriftsteller fällt einem aber das<br />
Buch aus der Hand, weil man einschläft, während der Lektüre. Und politisch harmlos sind sie<br />
alle geblieben. Die Politik findet bei diesem Schriftstellern nur im Thema statt, nicht in der<br />
510<br />
Schwarz, Emil: „Gespräch mit Richard Dindo und <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong>“, Film. Kritisches Filmmagazin 3,<br />
Januar 1976, 58.<br />
511<br />
„Kurzer Prozess“.<br />
512<br />
Für sein intellektuelles Selbstverständnis siehe Kap. 3.1.; für sein Konzept des Ikonismus siehe Kap.<br />
3.3.2.; für sein Empathie-Konzept siehe Kap. 3.3.3.2.<br />
513<br />
„Eine Lanze“, in: WSp, 191.<br />
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