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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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(siehe Punkt 3 in ‚Entwicklungen und Differenzen innerhalb der drei historischen Arbeiten‘<br />

in Kap. 4.2.2.).<br />

5) Konstitutiv für <strong>Meienberg</strong>s Geschichtsschreibung ist fünftens ihr fundamentaler Gegenwartsbezug.<br />

Da Geschichtsschreibung für ihn eine wesentlich kritische Funktion besitzt,<br />

kommt eine ‚antiquarische‘ Beschäftigung mit der Geschichte für <strong>Meienberg</strong> nicht in Betracht.<br />

Ernst S. und Wille und Wahn zielen mit ihrer interventionistischen rhetorischen<br />

Grundstruktur direkt und mit provokativer Schärfe auf die Kritik an einem Geschichtsbild,<br />

das für die kollektive Identität der Schweiz in den 70er, und auch noch den 80er Jahren<br />

von zentraler Bedeutung war. In Bavaud ist diese Form des kritischen Gegenwartsbezuges<br />

weniger offensichtlich, doch bemüht sich <strong>Meienberg</strong> auch dort, unbequeme Fragen an die<br />

Gegenwart zu stellen, etwa in Bezug auf eine Kontinuität der Denk- und Verhaltensweisen.<br />

6) Das sechste gemeinsame Kennzeichen der historischen Arbeiten ist ihre essayistische<br />

Qualität. Vollständigkeit und Ausgewogenheit der Darstellung waren nie <strong>Meienberg</strong>s<br />

Ziel; er verfolgte mit seinen Texten vielmehr gesellschaftspolitische Absichten, transformierte<br />

und selektionierte das ‚Vergangenheitsmaterial‘ so, dass Form und Inhalt die<br />

grösstmögliche Wirkung erzielten. Nicht das akribische Ausschaffen und Nuancieren ist<br />

seine Stärke, sondern der schnelle, virtuose Wurf. Wille und Wahn hat <strong>Meienberg</strong> unter<br />

grösstem Zeitdruck, teilweise von Woche zu Woche geschrieben. 706 Als er später Gelegenheit<br />

gehabt hätte, den Text für die Buchversion zu überarbeiten, hat er ihn so belassen,<br />

wie er war. Sartres Reportage-Definition beschreibt die Ingredienzen von <strong>Meienberg</strong>s historischer<br />

Prosa wohl am exaktesten (siehe Kap. 3.1.): die literarische Form, das intuitive,<br />

rasche Entschlüsseln der Wirklichkeit; das geschickte Herausschaffen des Wesentlichen;<br />

das Vermitteln eines synthetischen Gesamtbildes. Der Vergleich von <strong>Meienberg</strong>s Bavaud<br />

mit der Untersuchung des Historikers Klaus Urner über den Schweizer Hitler-Attentäter<br />

zeigt ausserdem, dass das Einbringen der eigenen Persönlichkeit für <strong>Meienberg</strong>, seinem<br />

anarcho-narzisstischen Weltbild gemäss, auch schlicht eine Notwendigkeit war.<br />

Entwicklungen und Differenzen innerhalb der drei historischen Arbeiten<br />

1) Innerhalb des mikrohistorischen Paradigmas lassen sich nun in den einzelnen historischen<br />

Arbeiten durchaus noch verschiedene methodische und interessensspezifische Verschiebungen<br />

feststellen. In Ernst S. operiert <strong>Meienberg</strong> unpräzis, aber relativ häufig mit analytischen<br />

Makroaggregaten wie der „Klasse“, dem „Klassenbewusstsein“, dem „Proletariat“<br />

oder den „Produktionsverhältnissen“. Man könnte sagen, dass dieses erste Werk gewisse<br />

Züge eines marxistischen Strukturalismus trägt, natürlich immer kombiniert mit seinem<br />

706 Fehr 1999: 376.<br />

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