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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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spielsweise ein unsystematisch verwendetes marxistisches Vokabular, von dem er sich im<br />

Laufe der 80er allmählich distanziert hat. <strong>Meienberg</strong>s Konzepte und Begriffe können aber<br />

nicht nur unter einer chronologischen Perspektive als weitgehend konstant gekennzeichnet<br />

werden, sie sind es auch über die einzelnen Felder hinweg, auf welchen er gearbeitet hat. Das<br />

ist die zweite Prämisse, die allerdings weniger überraschend ist, da sie eine logische Konsequenz<br />

aus seinem grundlegenden intellektuellen Selbstverständnis darstellt – er arbeitete explizit<br />

auf die Abschaffung ‚steriler‘ Gattungsgrenzen hin.<br />

Der Akzent auf dem Begriff des Intellektuellen bedeutet nicht, dass <strong>Meienberg</strong>s Texte nur<br />

nach Massgabe ihrer gesellschaftspolitischen Wirkung zu untersuchen und zu würdigen wären.<br />

Ganz im Gegenteil. Die Themen, die er wählte, die Methoden und Mittel, welche er in<br />

‚Forschung‘ und ‚Darstellung‘ bei seinen historischen Arbeiten entwickelte, haben der<br />

schweizerischen Historiografie wichtige Impulse verliehen. Ebenso ergiebig ist eine literarische<br />

Lektüre dieser Arbeiten, welche die Bandbreite an Formen, den Reichtum seiner Sprache<br />

und die Effizienz seiner narrativen Mittel aufzuzeigen vermag. Gute Texte lassen sich immer<br />

auf verschiedene Arten lesen. Es ist das Ziel dieser Arbeit, verschiedene Zugänge offenzulegen.<br />

276<br />

3.1. Grundzüge des intellektuellen Selbstverständnisses<br />

<strong>„Den</strong>ver-Clan“, „Dallas“, „Die Guldenbergs“ oder andere<br />

Schnurren: welche harmlose Krippenspiele und langweilige<br />

Fiktionen verglichen mit den Realitäten des Wille-Clans.<br />

(<strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong>)<br />

Im Herbst 1983 löste <strong>Meienberg</strong> mit seinem Artikel „Ein Werkstattbesuch bei zwei hiesigen<br />

Subrealisten“ 277 die sogenannte Realismus-Debatte von 1983/84 aus. In seiner Polemik gegen<br />

Otto F. Walters Buch Das Staunen des Schlafwandlers am Ende der Nacht und Thomas Koerfers<br />

Film Glut (beide 1983) gab er dabei in einer aufschlussreichen Metapher zu erkennen,<br />

wie das von ihm vertretene Schreiben ausschaut. Er schrieb: „Man freut sich immer, wenn ein<br />

bisschen Wirklichkeit aufs Tapet kommt, nicht mehr um sie herumgeschrieben oder -gefilmt,<br />

sondern in sie hineingeschrieben wird, wie in einen <strong>Abszess</strong>, den man <strong>zum</strong> <strong>Platzen</strong> bringt.<br />

(Die Schreibkunst von Flaubert wurde nicht ohne Grund mit einem Skalpell verglichen).“ 278<br />

An einer anderen Stelle heisst es analog, man müsse „ins konkrete Fleisch der Geschichte<br />

hineinschneiden“. 279 Die medizinisch-chirurgische Metaphorik verrät dabei zweierlei: Einerseits<br />

konstatierte er mit ihr einen pathologischen Befund am ‚Gesellschaftskörper‘ der Ge-<br />

276 Erwähnt werden muss hier noch, dass die Problematik der schweizerischen Archive, welche für <strong>Meienberg</strong>s<br />

Arbeit als Historiker zentral ist, nicht behandelt wird.<br />

277 „Ein Werkstattbesuch bei zwei hiesigen Subrealisten“, in: <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong>: Der wissenschaftlichte<br />

Spazierstock, Zürich 1985, 73-80. Dieser Sammelband wird fortan mit der Sigle WSp gekennzeichnet.<br />

278 „Ein Werkstattbesuch“, in: WSp, 75.<br />

279 „Kein schöner Land (als dieses unser narkotisiertes)“, in: <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong>: Vielleicht sind wir morgen<br />

schon bleich und tot. Chronik der fortlaufenden Ereignisse, aber auch der fortgelaufenen, Zürich 1989, 259.<br />

Dieser Sammelband wird fortan mit der Sigle VT gekennzeichnet.<br />

57

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