„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
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Was im Kalten Krieges nicht bedingungslose Affirmation des gesellschaftlichen Status Quo<br />
war, wurde in dieser Zeit manichäischer Oppositionen beinahe automatisch als „Infiltration“<br />
und „Zersetzung“ betrachtet. Diese beiden Termini waren die zentralen Stichworte der antikommunistischen<br />
Hetzjagd in der Schweiz, die in einer Jubiläumsschrift des einflussreichen<br />
Schweizerischen Ostinstitutes 1984 (!) unter dem respekteinflössenden Titel „Angriffslinien<br />
der Subversion“ exemplarisch erläutert wurden: Folgende Punkte zählten u.a. dazu: Förderung<br />
der Friedensbewegung, Protest gegen die westliche Rüstung, Unterstützung der Antikernkraft-Bewegung,<br />
Antiamerikanismus, Polarisierung latenter Probleme der offenen Gesellschaft.<br />
Der letzte Punkt umfasste dabei ein äusserst heterogenes Themenspektrum, das vom<br />
Umweltschutz über die soziale, Jugend- und Minderheitenfrage bis hin <strong>zum</strong> offenbar alles andere<br />
als banalen Delikt des „Marktwirtschafts-Verdrusses“ reichte. Wenn alle diese Themen<br />
nicht mehr kontrovers diskutiert werden durften, dann war ein Klima der Stagnation, der<br />
Lähmung und der Repression unvermeidlich. 96 Die Grenzen des öffentlich Sagbaren waren in<br />
diesem auf Antikommunismus programmierten und im Konzept ‚Sonderfall Schweiz‘ auf<br />
Binnenintegration und -loyalität ausgerichteten Rahmens der revitalisierten geistigen Landesverteidigung<br />
97 äusserst eng. Wer sie überschritt – oder noch schlimmer: wer sie gar lustvoll<br />
überschritt wie <strong>Meienberg</strong> – wurde als Feind betrachtet und musste mit manifesten materiellen<br />
Sanktionen rechnen.<br />
Die Reformära, die ab Mitte der 60er Jahre für ein knappes Jahrzehnt einsetzte, vermochte an<br />
den staatsschützerischen Tabuzonen nicht wesentlich zu rütteln. Nach wie vor bestätigte in<br />
den Augen der Überwacher die Kritik an der Schweiz immer nur die Gefährlichkeit der Kritisierenden<br />
– und die Notwendigkeit von deren Überwachung. 98 Die bewegten und unruhigen<br />
Jahre nach 1968, nach dem gescheiterten Protest gegen eine allgegenwärtige Unterdrückung,<br />
gingen nach 1973 im Zuge der Wirtschaftskrise recht abrupt zu Ende. Der Konjunktureinbruch<br />
wirkte zugunsten der konservativen Kräfte; erneute Anpassung an die bestehenden Zustände<br />
und Reorientierung an den individuellen Lebensverhältnissen machten sich breit. 99<br />
Titel von Überblicksdarstellungen über die schweizerische Nachkriegszeit wie „Goldene Jahre“<br />
oder „Helvetisches Glück im Kalten Krieg“ scheinen in keinerlei Verhältnis zu den hier<br />
geschilderten innenpolitischen Gegebenheiten zu stehen. Das hat damit zu tun, dass hier eben<br />
nur die eine, für das Thema relevante Seite der eigenwilligen helvetischen Kompromissformel<br />
geschildert wurde: der dominante gesellschaftspolitische und kulturelle Konservatismus, der<br />
die Schweiz der Nachkriegszeit prägte. Die andere Seite aber war eine beispiellos günstige<br />
wirtschaftliche Entwicklung, die, gepaart mit einer liberalen Fortschrittsideologie, eine vielfältige<br />
und nachhaltige Modernisierung der Schweiz bewirkte. Die Bejahung von wirtschaftlichem<br />
Wachstum und technologischem Fortschritt ging hierzulande problemlos einher mit<br />
gemeinschaftsideologischen, auf Struktur- und Kulturbewahrung gerichteten Elementen, wel-<br />
96 Bretscher-Spindler 1997:442-443.<br />
97 Der Begriff der „geistigen Landesverteidigung“ ist nie endgültig oder einheitlich definiert worden. Er bezeichnet<br />
vage die Betonung alles ‚Schweizerischen‘ und steht für die Abwehrhaltung gegen das Gedankengut<br />
totalitärer Diktaturen. In der Geschichtswissenschaft werden vereinfacht eine liberale und konservative Variante<br />
der „geistigen Landesverteidigung“ unterschieden. (Mattioli, Aram 1994: „Zwischen Demokratie und<br />
totalitärer Diktatur. Gonzague de Reynold und die Tradition der autoritären Rechten in der Schweiz“, Zürich,<br />
241-242.)<br />
98 König 1998b: 80.<br />
99 Gilg/Hablützel 1986: 898.<br />
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