„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
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<strong>Meienberg</strong>s intellektuelle Arbeit charakterisierte, die ersehnten Früchte. Die Abtragungsarbeit<br />
am ‚Heidiland-Mythos‘, die sich über Jahrzehnte erstreckt hatte, war an ihr Ende gekommen.<br />
Was jetzt noch besprochen werden muss, ist die Frage nach den Protagonisten dieser Geschichtsbild-Transformation.<br />
Die wichtigsten revisionistischen Impulse kamen nämlich nicht<br />
von der akademischen Historiografie, sondern von gesellschaftspolitisch motivierten Arbeiten<br />
von Schriftstellern und Publizisten. 124 Das Wissen der Fachhistoriker, dies sei hier nochmals<br />
wiederholt, blieb einem engen Kreis von Spezialisten vorbehalten. Adolf Muschg formuliert<br />
diesen Sachverhalt folgendermassen: „Wundert man sich noch, warum es nichts half, dass die<br />
meisten der Tatsachen, die heute in der Schweiz das Unterste nach oben kehren, längst bekannt<br />
waren? Sie waren publiziert, aber öffentlich wurden sie davon noch nicht. Sie blieben<br />
einem spezialisierten Diskurs der Fachhistoriker vorbehalten, wo sie – das Wort ‚Fach‘ sagt<br />
es schon – kein Risiko für Dammbrüche in der Öffentlichkeit darstellten. In ihrem Raum blieben<br />
sie gewissermassen im Zustand des Gerüchts, das die Hauptlesart nicht beirren durfte.“ 125<br />
Dem entsprechend hat es in der Schweiz nie einen „Historikerstreit“ gegeben, wie die – vor<br />
allem im Deutschland der Nachkriegszeit bereits mehrfach erfolgten – öffentlichen Konfrontationen<br />
von Fachhistorikern über Geschichtsbilder genannt werden. Warum nicht? Die Antworten,<br />
die der konservative Historiker Georg Kreis darauf gibt, sind erhellend, gerade auch<br />
in Bezug auf den gescheiterten Versuch <strong>Meienberg</strong>s, harte intellektuelle Auseinandersetzungen<br />
nach französischem Muster in der Schweiz zu inszenieren. 126 Kreis hält zunächst eine<br />
grundlegende „Arbeitsteilung“ bei der Revision von Geschichtsbildern für „unvermeidlich“:<br />
Einerseits seien da die zornigen Ikonoklasten, die rhetorischen Scharfschützen à la Diggelmann,<br />
Geiser, <strong>Meienberg</strong>, andererseits brauche es anschliessend ein relativierendes, situierendes<br />
und fundierendes „Aufräumkommando“, zu welchem Behuf er eben die akademische Geschichtsschreibung<br />
sieht. 127 Der Begriff des „Aufräumkommandos“ muss dabei, selbst wenn<br />
man von der Konnotation einer militärischen ,Säuberungsaktion‘ einmal absieht, als missglückt<br />
bezeichnet werden, suggeriert er doch die Möglichkeit einer abschliessenden „objektiven<br />
Ordnung“ der Vergangenheit. Dass dies nicht der Fall sein kann, und am wenigsten in der<br />
politisch am meisten umkämpften Zeitgeschichte, wurde im vorangehenden Kapitel gezeigt.<br />
Wenn sich Schweizer Fachhistoriker, so Kreis weiter, öffentlich zu heiklen Themen der Geschichtsschreibung<br />
äussern – was in der Zeit des Kalten Krieges sehr selten vorkam –, dann<br />
setzen sie sich niemals direkt mit Kollegenmeinungen auseinander. 128 Eine Feststellung, die<br />
<strong>Meienberg</strong> bereits 1971 in seiner Kritik am Bonjour-Bericht machte: „Die Arrivierten pflegen<br />
sich nicht gegenseitig zu verunsichern, schon gar nicht in der schweizerischen Konkordanzdemokratie<br />
– eine Herz und eine Seele; man lebt nicht nur vom politischen, sondern ebensosehr<br />
vom intellektuellen Kompromiss. Harte Auseinandersetzung gilt als unfein, man sitzt<br />
immer schon beieinander, im selben Boot. Seid nett zueinander! Auch wenn die historische<br />
124<br />
Kreis 1997: 464.<br />
125<br />
Muschg, Adolf 1998: „O mein Heimatland! 150 Versuche mit dem berühmten Schweizer Echo“, Frankfurt/M.,<br />
262-263. Der Text ist eine eigentümliche Mischung aus historischem Essay, Literaturgeschichte, Autobiografie<br />
und ausschweifender Replik auf eine polemische Attacke des Rechtspopulisten Christoph Blocher<br />
gegen seine Schrift „Wenn Auschwitz in der Schweiz liegt“ (Frankfurt/M. 1997).<br />
126<br />
Vgl. Caluori 2000a: 229-230.<br />
127<br />
Kreis 1997: 464.<br />
128<br />
Ebda, 466. Kreis bezieht sich hier durchaus auch auf die Gegenwart.<br />
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