„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
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obscene uproarious Mammon-faced drug-soaked mau-mau lust-oozing Sixties in America all<br />
to themselves.“ 265 Das politische Engagement angesichts drängender gesellschaftlicher Fragen,<br />
das in der journalistischen Richtung des New Journalism von Bedeutung ist, spielt hier<br />
keine Rolle oder wurde im Falle Wolfes sogar explizit abgelehnt. Worauf es ankam, war der<br />
schriftstellerische Erfolg. Hier offenbaren sich die markanten Differenzen zwischen Wolfe<br />
und <strong>Meienberg</strong>: Ausser ihrer Herkunft aus Universität und Journalismus, ihrer beeindruckenden<br />
Wortmächtigkeit und ihrer Kapazität zu formaler Innovation im Grenzgebiet von Literatur<br />
und Journalismus haben sie so gut wie nichts gemeinsam. Wolfe ist ein konservativer Moralist<br />
– „a loose cannon on the deck of the ship of state“ 266 – der zwar den Sittenzerfall seiner<br />
Zeit denunziert, sich aber sonst nicht weiter um soziale Fragen kümmert. Die einzige Wirkung,<br />
die er mit seinen Werken anstrebt, ist die Aufnahme ins Pantheon der grossen amerikanischen<br />
Dichter. <strong>Meienberg</strong> dagegen definiert sich in seinem intellektuellen Selbstverständnis<br />
sehr stark über die „Sache“, für die er sich schreibend engagiert: beispielsweise für die Kritik<br />
an einem bestimmten Geschichtsbild. Ein von künstlerischer Eitelkeit freier Asket im „Dienste<br />
der Sache“ war aber gerade er auch nicht, litt er doch ständig unter dem Gefühl, als Schriftsteller<br />
verkannt zu werden; dies hat ihn dann zu seinen gehässigen Attacken auf etablierte<br />
Schriftsteller wie Adolf Muschg getrieben. 267<br />
Die Literatur des New Journalism ist eine Literatur des Realismus. Für Wolfe ist der literarische<br />
Realismus – er knüpft dabei explizit an den französischen und englischen Realismus des<br />
19. Jahrhunderts an – nicht bloss eine schriftstellerische Technik unter anderen, sondern die<br />
Technik schlechthin für alle Zeiten; er vergleicht ihre Erfindung mit der Erfindung der Elektrizität,<br />
hinter die es kein Zurück mehr gebe. Die zentrale Leistung des literarischen Realismus<br />
sieht er in ihrer emotional absorbierenden Kraft. Der New Journalism ermöglicht nun in gewissen<br />
Sinn noch eine Steigerung dieser Kraft, da er über die Plausibilität des Realismus hinaus<br />
direkten Anspruch auf Wahrheit machen kann. 268 Wahrheit, so lässt sich folgern, ist für<br />
Wolfe kein Ziel aufklärerischer Absichten, sondern ein überraschendes Mittel, um die emotionale<br />
Wirkung seiner Texte zu optimieren. Im Bereich der formalen Charakteristika unterscheidet<br />
Hollowell sechs spezifische narrative Techniken des literarischen New Journalism:<br />
1) Vermutlich die wichtigste und am breitesten angewandte Technik ist die dramatische Inszenierung<br />
der Ereignisse, die mittels des vorhandenen Datenmaterials rekonstruiert werden.<br />
2) Auf traditionelle Zitate wird zugunsten ganzer Dialoge verzichtet. Grundlage hierzu ist<br />
die direkte Beobachtung.<br />
3) Das Augenmerk auf die Semiotik der gesellschaftlichen Distinktion mit all ihren statusindizierenden<br />
Details, d.h. der Blick auf Gesten, Gewohnheiten, Regeln und Stile, erlaubt<br />
eine vertiefte Charakterisierung der Figuren.<br />
4) Die Ereignisse werden nicht aus der Perspektive des neutralen Beobachters, sondern aus<br />
derjenigen der einzelnen Figuren erzählt.<br />
265 Wolfe/Johnson 1973: 31.<br />
266 McKeen, William 1995: „Tom Wolfe“, London, 133. Diese bisher neueste Biografie des euphorischen<br />
Journalismus-Professors aus Florida ist von geringem Nutzen, da reine Apologie im Stile von: „The arc of<br />
Wolfe’s career has nearly supersonic trajectory.“<br />
267 Fehr 1999: 350.<br />
268 Wolfe/Johnson 1973: 34.<br />
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