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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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Ernst S.“ geklagt und erwirkt, dass eine kompromittierende Aussage des Historikers Edgar<br />

Bonjour über ihren Vater durch ein ‚positives‘ Zitat ersetzt wurde. 56<br />

Durch diesen ersten Erfolg bestärkt, gingen die Gebrüder Wille ein zweites Mal vor Gericht<br />

gegen <strong>Meienberg</strong>. Die Differenz <strong>zum</strong> skandalisierten Film über Ernst S. bestand jedoch darin,<br />

dass es sich diesmal nicht um ein fertiges Werk handelte, sondern um ein Theaterprojekt, von<br />

welchem <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Klage nichts weiter als eine wohlweislich seriös gehaltene Projektskizze<br />

vorlag. „Es geht nicht darum, Wille auf moralisierende Art politische Fehltritte<br />

vorzurechnen. Es soll vielmehr leidenschaftslos versucht werden, die politische Haltung eines<br />

nicht unwesentlichen Teils der Armee (Gruppe Däniker/Bircher/Wille), welchen Oberstkorpskommandant<br />

Wille verkörperte, aus den politisch-moralischen Randbedingungen [der<br />

kritischen Monate 1940, P.M.] zu erklären und szenisch darzustellen. Es werden Tatsachen<br />

auf die Bühne kommen, die quellenmässig erhärtet sind, Dokumentation, nicht Fiktion.“ 57 So<br />

lautete <strong>Meienberg</strong>s Absichtserklärung für das Bühnenstück.<br />

Der Anwalt der Gebrüder Wille, Walter Baechi, 58 bezichtigte <strong>Meienberg</strong> in der Gerichtsverhandlung<br />

der „klassenkämpferischen Agitation“ und verwies dabei auf die einschlägigen Passagen<br />

des Films. Als Beweis dafür, wie es ‚wirklich gewesen sei‘, nannte er Werke der beiden<br />

Geschichtsprofessoren Edgar Bonjour und Georg Kreis. 59 Er verneinte ausserdem die Legitimität<br />

jeglicher moralischer Geschichtsbetrachtung mit dem Argument, dass in den Jahren<br />

1940/41 keineswegs klar gewesen sei, ob die Nationalsozialisten jemals besiegt werden würden.<br />

„Dann wären diejenigen, welche heute verketzert werden, als die Vorausschauenden anerkannt<br />

und geachtet worden.“ 60 Der Verteidiger <strong>Meienberg</strong>s, SP-Gemeinderat Moritz Leuenberger,<br />

denunzierte in einem furiosen Plädoyer die Absichten der Gebrüder Wille mit aller<br />

Deutlichkeit. Die Veröffentlichung von Dokumenten, die Bildung und Verbreitung von Werturteilen<br />

über historische Fakten könne in einer Demokratie niemals widerrechtlich sein, so<br />

Leuenberger; was hier zur Debatte stehe, sei der Missbrauch des Gerichts für Zwecke der<br />

„Hofschreiberei“: Die Kläger wollten im Grunde nichts anderes als einen „Persilschein für ihren<br />

Vater“, ein amtlich beglaubigtes Gütesiegel für dessen einwandfreie vaterländische Gesinnung.<br />

61<br />

Das Gericht folgte Leuenberger in den wesentlichen Punkten und hielt fest, dass die Kläger<br />

keinen Anspruch darauf hätten, „einen ganzen Sektor möglicher geschichtlicher Darstellungen<br />

verbieten zu lassen, nur weil sich darunter Darstellungen finden könnten, die ihre Persön-<br />

56 Fehr vermutet in ihrer Darstellung, dass die Gebrüder Wille durch Hinweise auf die Einklagbarkeit des<br />

Stücks in der Presse zur Klage aufgefordert wurden. (Fehr 1999: 238.) Meiner Meinung nach können die<br />

zeitlich eng beieinander liegenden Klagen gegen Film und Bühnenstück aber nicht isoliert betrachtet werden.<br />

57 Uster 1988: 84-86. Meine Hervorhebung.<br />

58 Rechtsanwalt Dr. Walter Baechi gehörte in den 60er Jahren zur politischen Rechten im Umkreis von James<br />

Schwarzenbach. (Bretscher-Spindler, Katharina 1997: „Vom heissen <strong>zum</strong> kalten Krieg. Vorgeschichte und<br />

Geschichte der Schweiz im Kalten Krieg 1943-1968“, Zürich, 447.) Baechi führte auch den Prozess gegen<br />

Friedrich Dürrenmatt in der Schauspielhaus-Affäre von 1961.<br />

59 Bonjour, Edgar 1971: „Geschichte der schweizerischen Neutralität. Vier Jahrhunderte eidgenössischer<br />

Aussenpolitik“, [Band IV: 1939-1945], Basel etc.; Kreis, Georg 1976: „Auf den Spuren von ‚La Charité‘. Die<br />

schweizerische Armeeführung im Spannungsfeld des deutsch-französischen Gegensatzes 1936-1941“, Basel<br />

etc. Kreis schreibt: „Nicht vorsätzliche Politik, sondern politische Ahnungslosigkeit führte zu der kompromittierenden<br />

Begegnung mit Hitler im Frühjahr 1934 und <strong>zum</strong> unvorsichtigen Gespräch mit Köcher im Herbst<br />

1940.“ (S. 202) – <strong>Meienberg</strong>s ironischer Kommentar in Wille und Wahn: Er hat es nicht bös gemeint.<br />

60 Uster 1988: 91.<br />

61 Ebda, 94.<br />

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