29.08.2013 Aufrufe

„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

präziseren sprachlichen Erfassung der Oberschicht sind nicht erkennbar, was wohl auch mit<br />

dem Umstand zu tun hat, dass ihm dafür keine geeigneten sprachlichen Quellen zur Verfügung<br />

standen. In Bavaud sind erste, aber vereinzelte Ansätze für eine ikonische Sprachverwendung<br />

bei der Darstellung der gesellschaftlichen Oberschicht erkennbar. So schreibt er etwa<br />

über Frölicher, den schweizerischen Gesandten in Berlin:<br />

„Als begeisterter Jäger habe er auch in den Kriegszeiten immer das Waidwerk gepflegt.“ (B, 42)<br />

Die Wendung „das Waidwerk pflegen“ ist ein Archaismus; 683 mit diesem rhetorischen Stilmittel<br />

reflektiert <strong>Meienberg</strong> die aristokratische Attitüde, auf welche Frölicher zeitlebens Wert<br />

legte. Über das ganze Werk hinweg gesehen bleibt diese Stelle aber ein unbedeutender Einzelfall<br />

– doch stand ja auch hier mit Marcel Bavaud ein Angehöriger des Kleinbürgertums<br />

und nicht der gesellschaftlichen Oberschicht im Zentrum. Erst in Wille und Wahn steht die<br />

Elite wirklich im Mittelpunkt des Textes, was ihm die Erschliessung völlig neuen ‚sprachlichen<br />

Terrains‘ ermöglicht. Es ist wohl diesem Umstand zu verdanken, dass <strong>Meienberg</strong> hier<br />

den Höhepunkt seiner sprachlichen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht – die Untersuchung<br />

seiner Rede über den Wille-Clan ist dementsprechend lohnenswert. Welche Sprache verwendet<br />

<strong>Meienberg</strong>, wenn er über die gesellschaftliche Elite schreibt? Hier ein repräsentatives Set<br />

von Beispielen:<br />

„wedelnd karressieren“ (W, 7)<br />

„eine Melodie skizzieren“ (W, 7)<br />

„der Jugend Maienblüte“ (W, 7)<br />

„Ehrensalven durchzittern die Luft“ (W, 9)<br />

„recht sehr ans Herz wachsen“ (W, 11)<br />

„mit fliegenden Händen aufreissen“ (W, 13)<br />

„unter dem Allerhöchsten Gnädigen Schutz Seiner Majestät des Kaisers und auch unter Gottes speziellem<br />

Schutz und Schirm stehen“ (W, 13)<br />

„Lorgnon“ (W, 15)<br />

„ein Mann mit Schneid“ (W, 15)<br />

„nach der Mamsell klingeln“ (W, 16)<br />

„sonst keine Kultur“ (W, 31)<br />

„Hecken knipsen“ (W, 33)<br />

„Verrichtungen obliegen“ (W, 33)<br />

„sich beehren“ (W, 36)<br />

„indigniert sein“ (W, 40)<br />

„Ruhm an den Familiennamen derer von Sprecher heften“ (W, 57)<br />

„ein Aszet sein“ (W, 57)<br />

„Eine Bonbonniere für die Frau Gemahlin kaufen“ (W, 74)<br />

„sich ennuyieren“ (W, 74)<br />

„sich inkommodieren“ (W, 74)<br />

„Eine Einladung ergehen lassen“ (W, 74)<br />

„zur Freude gereichen“ (W, 74)<br />

„Ehrfurcht bei<strong>bringen“</strong> (W, 91)<br />

„quinquillieren“ (W, 91)<br />

„nach dem Begehr fragen“ (W, 91)<br />

„arrondieren“ (W, 91)<br />

Es ist ein ‚elaborierter Code‘, eine gestelzte, prätentiose Sprache voller Archaismen, die er<br />

einsetzt, um das „Leben und Denken“ in der gesellschaftlichen Kammlage des Wille-Clans<br />

683 Als „Archaismus“ wird in der Rhetorik der effektvolle Gebrauch veralteter Ausdrücke mit poetischer, pathetischer<br />

oder ironischer Konnotation bezeichnet. (Lexikon der Sprachwissenschaft 1990.)<br />

148

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!