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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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Prätext vielleicht nicht empirisch geäussert wurden, jedoch nach denselben Verwendungsregularitäten<br />

und soziolektalen Determinanten gebildet werden. 669 Dazu einige Beispiele, vor<br />

allem in Form des Ausdruckszitates:<br />

Quellenbegriff Begriffsverwendung des Autors 670<br />

Ländli (W,15) Ländli (W,10, unmarkiert)<br />

Jämmerlichkeiten / jämmerlich (W,46) Jämmerlichkeit (W, 15, markiert)<br />

Jammerkerle (W,15) Jammerkollegium (W, 16, unmarkiert)<br />

Redaktorenpack (W, 26) Redaktorenpack (W, 48, unmarkiert)<br />

Linkes Pack (W, 109, unmarkiert)<br />

Revolutionierendes Unterland (W, 35) Revolutionierendes Unterland (W, 36, markiert)<br />

[für: Bauch] [für: Schweizer Frauen, die das Stimmrecht wollen]<br />

Revolutionierendes Unterland (W, 53, markiert)<br />

[für: Bauch]<br />

Weich gemacht (W, 41) Weichgeklopft (W, 40, unmarkiert)<br />

Den kümmerlichen Gesellen mit einem Fusstritt Die kümmerlichen Gesellen mit einem Fustritt zur Tür<br />

zur Tür hinauswerfen (W, 41) hinauswerfen (W, 49, markiert)<br />

Frauenzimmer (W, 42, 48) Frauenzimmer (W, 42, unmarkiert)<br />

Refrakteur (W, 53) Refraktär (W, 44, unmarkiert)<br />

Bescheidenes Siegesfest (W, 54) Kleine Siegesfeier (W, 61, markiert)<br />

Ins Frankenland hineinziehen (W, 15) Ins Frankenland hineinziehen (W, 59, markiert)<br />

Den Heiligen Krieg proklamieren (W, 15) Den Heiligen Krieg proklamieren (W, 59, markiert)<br />

Diese Liste mit Beispielen von fluktuierenden Zitaten ist keineswegs vollständig. Sie macht<br />

jedoch deutlich, wie <strong>Meienberg</strong> es im Detail fertig bringt, aus seinem Text ein beinahe unentwirrbares,<br />

organisches Gewebe von Quellentext, markiertem Zitat, unmarkiertem Zitat und<br />

Eigentext zu produzieren. 671 Diese synthetische Qualität seiner Prosa in Form eines komplexen,<br />

den Text strukturierenden Systems von Querverweisen, Vorwegnahmen und Rückbezügen,<br />

welche die in der akademischen Historiografie streng beachtete Scheidung von Objektsprache<br />

und Metasprache partiell suspendiert, ist ein herausragendes Kennzeichen von <strong>Meienberg</strong>s<br />

Erzählen, das im Kontext seiner Forderung nach einem Zusammenspiel von „Forschung<br />

und Formung“ (siehe Kap. 3.3.3.1) zu betrachten ist. Wichtig ist dabei, dass er diese<br />

Forderung im Hinblick auf seine Vorstellung eines guten, „lustbetonten“ Stils aufstellte. Die<br />

Implementierung, Transformierung und Parodisierung von Quellenzitaten, die hier als Technik<br />

des fluktuierenden Zitates – notabene als komplexes narratives Verfahren – bezeichnet<br />

und konzeptualisiert wird, war für <strong>Meienberg</strong> nichts anderes als eine Frage des Stils.<br />

Mindestens drei spezifische Funktionen sind für die Technik des fluktuierenden Zitates au<strong>zum</strong>achen:<br />

Die erste und wichtigste Funktion ist wohl die narrative Perspektivierung oder<br />

669 Das Codezitat als eigene Möglichkeit des Zitierens ist noch wenig untersucht. Inspirierende Hinweise für<br />

dieses neue Forschungsgebiet finden sich in folgendem Text, dem auch meine Definition hier folgt: Böhn,<br />

Andreas 1999: „Formzitate, Gattungsparodien und ironische Formverwendung im Medienvergleich“, in:<br />

ders. (Hg.): Formzitate, Gattungsparodien, ironische Formverwendung: Gattungsformen jenseits von Gattungsgrenzen,<br />

St. Ingbert, 7-58, hier S. 15.<br />

670 „Markiert“ heisst: mit Anführungszeichen versehen oder in kursiver Schrift gedruckt, d.h. als Zitat kenntlich<br />

gemacht. „Unmarkiert“ bedeutet, dass dem Leser keinerlei Signale zur Verfügung stehen, an welchen er<br />

den Zitat-Charakter des Begriffes erkennen könnte.<br />

671 Abzuklären wäre hier noch, nach welcher Logik <strong>Meienberg</strong> Zitate markiert bzw. nicht markiert. Möglicherweise<br />

lässt sich eine solche aber gar nicht feststellen.<br />

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