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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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des Gedankenzitates ganz verzichtet. Alles bleibt hier im Rahmen der abduktiven Vermutung:<br />

„[...] und da wird er vielleicht gelächelt und an seine schweizerischen Sponsoren gedacht haben,<br />

welche die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei so grosszügig unterstützten;<br />

und gleichzeitig wird er sie ein bisschen verachtet haben.“ (W, 86, m.H.); „Dieses Zürich!<br />

Mag ihm sehr behäbig vorgekommen sein, [...].“ (W, 86,m.H.)<br />

Die extratextuelle Plausibilisierung funktioniert in der ‚Hitler-Abduktion‘ in gleicher Weise<br />

wie in der ersten – mit schriftlichen Dokumenten, die in den Text eingewoben werden. <strong>Meienberg</strong><br />

zitiert den Historiker Gautschi, spätere Aussagen Hitlers über den Zürich-Besuch, amtliche<br />

Dokumente betreffend Hitlers Visa-Bewilligung, Äusserungen der Wille II-Tochter<br />

Gundalena von Weizsäcker über den Hitler-Besuch, Zeitungstexte und –inserate, insgesamt<br />

ein recht breites Quellenkorpus. Ganz anders gestaltet sich dagegen die intratextuelle Plausibilisierung.<br />

Da der zentrale Protagonist der Darstellung diesmal nicht der Wille-Clan, sondern<br />

Hitler ist, kann <strong>Meienberg</strong> die Technik des fluktuierenden Zitates, die ja auf der Lexik und<br />

dem Duktus eines prägnanten Prätextes beruht, in dieser Abduktion nicht gut anwenden –<br />

sonst hätte er etwa die Sprache von „Mein Kampf“ imitieren müssen, und wenn er das gemacht<br />

hätte, wäre es um die Glaubwürdigkeit des ganzes Buches geschehen gewesen. Die intratextuelle<br />

Plausibilisierung erfolgt hier deshalb über die Motivstruktur der Bäume. Im ganzen<br />

Text spricht <strong>Meienberg</strong> immer wieder von den Bäumen, wenn er von Residenzen des<br />

Wille-Clans spricht:<br />

„[...] auf Mariafeld, dem exquisiten Landgut in Feldmeilen, überragt vom höchsten Baum am Zürichsee,<br />

der bekannten Platane, [...].“ (W, 7, m.H.)<br />

„[...] vielleicht eben jetzt im Rieterpark lustwandelt und unter dem exquisiten Baumbestand die Fernsicht<br />

auf See und Berge geniesst, [...].“ (W, 11, m.H.)<br />

„Und immer noch: Welch ein Ausblick durch die Fenster, über den knospenden Garten, über Kastanien-<br />

und Tannenwipfel hinweg, [...].“ (W, 23, m.H.)<br />

„[...] und der Wind in den Zweigen der alten Platane lullte den Oberstkorpskommandanten in den<br />

Schlaf, [...].“ (W, 30, m.H.)<br />

„Oberhalb von Horgen, [...] zweigt eine Allee von der Strasse ab, die, zwischen ehrwürdigen alten<br />

Bäumen leicht ansteigend, [...].“ (W, 91, m.H.)<br />

„Es ist so still, dass man die Vergangenheit knistern hört. Die Bäume rauschen unter dem Mond, [...].“<br />

(W, 92, m.H.)<br />

„[...] und wenn man noch lange die Bäume fixiert und in die Dunkelheit starrt, taucht vielleicht schemenhaft<br />

die Generalin auf in ihren Witwenkleidern, [...].“ (W, 92, m.H.)<br />

Unauffällig, aber sehr gezielt umgibt der Erzähler <strong>Meienberg</strong> die Bäume des Wille-Clans also<br />

mit einem spezifischen semantischen Raum: Die Clan-Bäume werden als die „höchsten“, als<br />

„exquisit“, „alt“, „ehrwürdig“ und „bekannt“ qualifiziert. Ähnlich wie zuvor das Topografische<br />

(die Lage der Herrschaftssitze) wird hier auch das Botanische <strong>zum</strong> Symbol für den einzigartigen<br />

sozialen Status des Wille-Clans. Diese Assoziation der Bäume mit der alten, bekannten,<br />

exquisiten Kultur des Clans wird vollends deutlich im letzten der obigen Zitate: Es<br />

sind die Bäume, die der „Wanderer“ anstarrt, als ihm die Gespenster erscheinen. Und was<br />

lässt <strong>Meienberg</strong> nun Hitler als erstes tun in Zürich? Wie schliesst er seine Hitler-Abduktion<br />

ans Textumfeld an? Er lässt ihn – die Bäume bewundern.<br />

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