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„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg

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erkenntnisproduktiven Funktion von Werten nichts zu schaffen hat: Es ist dies die rhetorische<br />

Dimension seines Empathie-Konzepts, die auf die Mobilisierung der Textrezipienten zielt und<br />

ein Instrument seiner intellektuellen Wirkungsabsicht darstellt (vgl. Kap. 3.3.3.2.). Als störend<br />

kann dies insbesondere auch deshalb empfunden werden, weil <strong>Meienberg</strong> hier entgegen<br />

seinem Anspruch auf Standpunktreflexion dem Leser diese „technique of persuasion“ nicht<br />

offenlegt, sondern sie als untergründiges, schwer erkennbares und deshalb effizientes rhetorisches<br />

Mittel einsetzt. Es ist diese spezifische Subjektivität <strong>Meienberg</strong>s, die sich in Form der<br />

polemischen, ironischen oder parodistischen Redeweise manifestiert, die in den Rezensionen<br />

seiner historischen Arbeiten zu Urteilen wie demjenigen führen konnte, das ein NZZ-Kritiker<br />

für Wille und Wahn traf: „Ein Pamphlet voller Hohn und Sarkasmus, das verletzen soll“. 472<br />

3.3.2. Die Funktion der Sprache<br />

Im April 1985 fand im Zürcher Bahnhofbuffet auf Einladung einer schweizerischen Journalistengewerkschaft<br />

eine Podiumsdiskussion zwischen <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong> und dem Journalismus-Dozenten<br />

Michael Haller über den Umgang mit Sprache und Wirklichkeit in den Medien<br />

statt. Bald hob ein „eitel Duellieren der Schreibritter“ an, notierte die WOZ-Berichterstatterin,<br />

als „der <strong>Niklaus</strong> mit erwartungsgemäss ungestümen Esprit die normierte, konfektionierte, flotte<br />

Schreibe des Magazinjournalismus resp. des SPIEGEL und den davon restlos überzeugten<br />

Michael attackiert[e] [...].“ 473 Der Artikel der Journalistin lässt eine bestürzende Verständnislosigkeit<br />

des „demokratischen Textokraten“ und des „elitären Homme de lettre – so die gegenseitigen<br />

Charakterisierungen der beiden Kontrahenten – für das Sprachverständnis des<br />

Gegenübers erahnen. Es ist verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit <strong>Meienberg</strong> damals<br />

seine genuin literarische Vorstellung vom Umgang mit Sprache auf die Alltagspraxis der<br />

Journalisten übertrug. Die instrumentalisierte, standardisierte, „glatte“ oder „flotte Schreibe“,<br />

welche vom deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ praktiziert und von Haller als Vorbild<br />

gepriesen wurde, war für <strong>Meienberg</strong> ein ultimatives Schreckbild von Sprachgebrauch. 474<br />

Er verabscheute eine unter sozusagen industriellen Produktionsbedingungen verfertigte, leicht<br />

konsumierbare Sprache und bestritt ganz generell die Möglichkeit, souverän über Sprache<br />

verfügen zu können. 475 In seinen „Paar Thesen <strong>zum</strong> Magazinjournalismus“, die er nach der<br />

Diskussion in der WOZ veröffentlichte, schrieb er: „Der Magazin-Stil trägt seinen Namen zu<br />

recht: Wir befinden uns, wenn wir ihn lesen, in einem Magazin, wo die Wörter hübsch ordentlich<br />

aufgestapelt, durchnumeriert, neutralisiert, entschärft und willkürlich abrufbar sind. Sie<br />

stehen nicht mehr in einem lebendigen Verhältnis zur Sache, die sie bezeichnen sollen, sondern<br />

werden der Sache lieblos übergestülpt [...].“ 476<br />

Hinter der Wendung des „lebendigen Verhältnisses zur Sache“ steckt ein Konzept, auf das<br />

<strong>Meienberg</strong> immer wieder zurückgekommen ist und das als fundamental für seinen Sprachbeg-<br />

472 Zit. nach Looser 1988: 105.<br />

473 Sutter, Lotta: „Verklart, gegegnet und versaftet. Michael Haller (Spiegel) und <strong>Niklaus</strong> <strong>Meienberg</strong> über die<br />

glatte Schreibe“, Wochenzeitung, 3.4.1985.<br />

474 Ebda.<br />

475 Ebda.<br />

476 <strong>Meienberg</strong>, <strong>Niklaus</strong>: „Paar Thesen <strong>zum</strong> Magazinjournalismus“, Wochenzeitung, 3.4.1985. Dieser Artikel<br />

wird künftig mit „Paar Thesen“ abgekürzt.<br />

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