„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
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lichkeit verletze“. 62 Damit wurde das Begehren auf Erlass vorsorglicher Massnahmen abgewiesen.<br />
War den Willes die vorübergehende Errichtung eines interpretatorischen Sperrbezirkes<br />
in einer sakral geglaubten Zone schweizerischer Geschichtsdeutung im Dokumentarfilm<br />
gelungen, so erwies sich eine allgemeine – juristische – Fortifizierung derselben als unmöglich.<br />
Das Theaterstück blieb trotzdem ungeschrieben. Die Gründe dafür dürften kaum in der<br />
psychologischen Zermürbung der Willeschen Verhinderungstaktik zu suchen sein, wie Uster<br />
dies suggeriert. Das Stück scheiterte wohl ganz einfach an Umsetzungsschwierigkeiten mit<br />
dem Stoff. 63 Zehn Jahre später kehrte <strong>Meienberg</strong> zur Wille-Thematik zurück – und ebenso zu<br />
seinen angestammten Medien und Formen: dem Zeitungsartikel und seiner eigenen, historiografisch-literarischen<br />
Prosa. Eine erneute Klage der Willes unterblieb 1987 trotz explizitem<br />
Inhalt. Dies mag an den veränderten gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen gelegen<br />
haben; oder aber in der pragmatischen Einsicht in die häufig kontraproduktiven Folgen derartiger<br />
Klagen. <strong>Meienberg</strong> formulierte sie 1981 im Gedicht „Abgesang (I) Punkto Prozessen“,<br />
in welchem er nicht ohne Häme auf den Prozess zurückblickt:<br />
„Wenn Ihr, geschätzte Feinde<br />
meine Verse juristisch belangen wollt<br />
[...]<br />
dann werden sie ins Publikum gelangen und zitiert<br />
an der Gerichtsversammlung<br />
und von Reportern öffentlich gemacht [...].“ 64<br />
In den Jahren 1976/77 erlebte <strong>Meienberg</strong> mit mehreren Prozessen und dem Schreibverbot<br />
beim Tages-Anzeiger einen nie mehr erreichten Höhepunkt an Repressalien gegen seine Person,<br />
die seine öffentliche Plattform empfindlich einschränkten. Man sprach von einem „Fall<br />
<strong>Meienberg</strong>“. Die Journalistin und <strong>Meienberg</strong>-Biografin Fehr schreibt dazu: „Vom Handelnden,<br />
der Fälle aufgreift und Themen macht, ist er selber <strong>zum</strong> Fall geworden: als Mitautor eines<br />
Filmes, der auf allen Ebenen bekämpft wird, als verhinderter Theaterstückeschreiber, als<br />
ein mit Schimpf und Schande entlassener Schreiber des renommiertesten Schweizer Magazins.“<br />
65<br />
Bemerkenswert scheint mir der hier skizzierte <strong>Meienberg</strong>/Wille-Prozess deshalb, weil er die<br />
Abwehrmassnahmen gegen die „Geschichtsbild-Dissidenz“ 66 – so kann die kleine Gruppe Intellektueller<br />
genannt werden, welche das hermetische Selbstbild der Schweiz im Kalten Krieg<br />
in Frage zu stellen wagte – auf die Spitze treibt. Dieser Prozess wurde ohne eine einzige justiziable<br />
Handlung oder Äusserung geführt. Es war ein Präventivschlag, ein Prozess im Konjunktiv,<br />
der allein auf Annahmen, Möglichkeiten und Befürchtungen beruhte. Sicher war der<br />
gescheiterte Versuch eines geschichtspolitischen Exorzismus die Handlung zweier Einzelpersonen,<br />
die offenbar Gründe hatten zur Annahme, um ihren Ruf in der Öffentlichkeit bangen<br />
62<br />
SLA, Nachlass NM, NM C-3/8.<br />
63<br />
Uster 1988: 96-98. Fehr 1999: 239, 399. <strong>Meienberg</strong> nahm 1988 einen weiteren Anlauf für das Wille-Stück,<br />
diesmal in Zusammenarbeit mit dem Schauspielhaus. Doch auch diesmal versandete das Projekt kläglich,<br />
ebenso wie ein weiteres Bühnenprojekt von ihm, das sich um die Tages-Anzeiger-Verlegerfamilie Coninx<br />
drehen sollte. Die Bühne, so lässt sich resümieren, war entschieden nicht <strong>Meienberg</strong>s Medium.<br />
64<br />
<strong>Meienberg</strong>, <strong>Niklaus</strong> 1981: „Die Erweiterung der Pupillen beim Eintritt ins Hochgebirge“, Zürich, 171-172.<br />
65<br />
Fehr 1999: 235.<br />
66<br />
Der Terminus stammt von: Kunz, Matthias; Morandi, Pietro 2000: „‘Die Schweiz und der Zweite Weltkrieg‘:<br />
zur Resonanz eines Geschichtsbildes anhand einer Analyse politischer Leitmedien zwischen 1970 und<br />
1996“, Bern, hier S. 38.<br />
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