„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
„Den Abszess zum Platzen bringen“ - Niklaus Meienberg
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nimmt <strong>Meienberg</strong> – so könnte hypothesenartig formuliert werden – eine gewisse Sonderstellung<br />
ein, da diese Auseinandersetzung erstens einen Schwerpunkt seines gesamten Schaffens<br />
ausmachte und da seine Kritik, wie in dieser Untersuchung gezeigt wurde, selten eindimensional<br />
und direkt moralisierend erfolgte, sondern meistens auf eine indirekte, sprachlich raffinierte,<br />
zugleich unterhaltende Art und Weise: Die Doppelung einer eigentümlichen Aggressivität<br />
und eines spielerischen Witzes sind ein zentrales Kennzeichen der interventionistischen<br />
historischen Arbeite <strong>Meienberg</strong>s.<br />
Als Persönlichkeit bleibt <strong>Meienberg</strong> widersprüchlich. Der rigorose, von Selbstzweifeln freie<br />
Gestus, mit welchem er auftrat, die quasi religiösen Heilungsfantasien, die hinter seinen operativen<br />
Konzepten standen, die zwei Jahrzehnte überspannende, erstaunliche Homogenität<br />
und Konstanz seiner intellektuellen Positionen, das Denken und Darstellen in und mit binären<br />
Kontrasten – diese ganze untergründige, psychische und mentale Struktur lässt ihn als ‚historische‘<br />
Figur des Kalten Krieges erscheinen, die mit einer gewissen Folgerichtigkeit in eine<br />
schwere Identitätskrise gerät, als sich diese geopolitische Konstellation auflöst. 717 Auf der anderen<br />
Seite – und dies wurde zu seinen Lebzeiten wenig gesehen – ist <strong>Meienberg</strong> einer jener<br />
Schrifsteller, die in dieser Zeit der Ideologien den ideologischen Vereinnahmungen und Reduktionismen<br />
widerstand und seine intellektuelle Unabhängigkeit, gerade auch gegen links,<br />
vehement verteidigte. <strong>Meienberg</strong> entfaltete mit seinem Projekt, die Namen- und Sprachlosen<br />
in der Schweiz zu Wort kommen zu lassen und die Schweizer Geschichte gewissermassen gegen<br />
den Strich zu lesen, indem er eine völlig neue Perspektive ‚von unten‘ entwickelte, ein<br />
bemerkenswertes sozialpolitisches Engagement. Dieses Engagement erfolgte aber nicht auf<br />
der Grundlage edler Philanthropie, sondern vor dem Hintergrund seines anarchonarzisstischen<br />
Weltbildes: Das Schreiben über die ‚Beherrschten‘ und ‚Unterdrückten‘ war<br />
stets auch ein Schreiben über sich selbst, da er sein eigenes Leben – wie im Falle von Ernst S.<br />
gezeigt – in dasjenige seiner Protagonisten projizierte. Ein dritter produktiver Widerspruch<br />
liegt in <strong>Meienberg</strong>s bizarrer Hassliebe zur Schweiz begründet. Die Aggression, mit welcher er<br />
seit Ernst S. immer wieder über die Schweiz sprach, war bis dato unbekannt. Gleichzeitig benötigte<br />
er die Schweiz, die schweizerische Mentalität und die geistige Enge in der Zeit des<br />
Kalten Krieges wie kein Zweiter, um kreativ und produktiv zu werden. Er ‚floh‘ nach Frankreich,<br />
um Atem zu holen, kehrte aber immer wieder nach Zürich zurück; und von Deutschland,<br />
wo er sich ebenfalls hätte entfalten können, wollte er nichts wissen, wie ein Kritiker und<br />
Freund resigniert feststellte. 718 Er hasste die Schweiz und war zugleich Schweizer durch und<br />
durch, der für die alten, eidgenössisch-republikanischen Werte wie Demokratie, Gleichheit<br />
und Gerechtigkeit eintrat. Denn es war die Erkenntnis der Ungleichheit, die Beobachtung,<br />
dass Ungleichheit in der Schweiz existierte, die als Initialzündung hinter seinem Landesverräter-Stoff<br />
stand; und die Ungleichheit, die er mit steigenden Ruhm an seiner eigenen Person<br />
erlebte – plötzlich galt er mehr als ein ‚einfacher‘ Arbeiter – hat ihn zutiefst befremdet und<br />
zur Erschütterung seines intellektuellen Selbstverständnisses beigetragen.<br />
717 Die „Historizität“ <strong>Meienberg</strong>s ist denn auch die zentrale Interpretationslinie, welche den Zugriff auf die<br />
Figur <strong>Meienberg</strong>s im Theaterstück „<strong>Meienberg</strong>s Tod“ organisiert. Bärfuss und Schmid nennen es „ein Stück<br />
aus alter Zeit“ und wählen barocke Kostüme und Requisiten als Rahmen für ihre Handlung.<br />
718 Erenz 2000.<br />
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