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eine zentrale Frage der Wissensvermittlung (pdf)

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Literaritätspraxis hierzulande – <strong>eine</strong> (sehr) kl<strong>eine</strong> Auswahl<br />

„Die Musik riecht nach dem New York in den 20ern wie die <strong>eine</strong>s jeden Strauss-Walzers nach<br />

dem Wien des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts“, stellt Rattle fest. Es handle sich um <strong>eine</strong> Musik <strong>der</strong> gegenseitigen<br />

Befruchtung, die die Klänge <strong>der</strong> Straße, ihrer verschiedenen BewohnerInnen und<br />

Gruppen mischt. So betritt die Musik <strong>der</strong> Straße und mit ihr <strong>der</strong> multi-ethnische Klang<br />

das Konzertpodium. Gershwin selbst charakterisiert s<strong>eine</strong> Musik mit den Worten – “a sort<br />

of musical kaleidoscope of America – of our vast melting pot of unduplicated national pep,<br />

of our blues, our metropolitan madness”.<br />

Der Wechsel <strong>der</strong> Wahrnehmung und verschiedener Bewusstseinszustände, die gleichzeitig<br />

nebeneinan<strong>der</strong> bestehen, ist ein wichtiger Aspekt in <strong>der</strong> amerikanischen Musik. Er wird<br />

musikalisch häufig durch Polytonalität und Polyrhythmus charakterisiert – <strong>eine</strong>m Kenn zeichen<br />

von Jazz Musik und <strong>der</strong> meisten afrikanischen Musiken. In ihnen gibt es zur gleichen<br />

Zeit mehrere Tonarten und Rhythmen, und oft erfolgt ein Wechsel zwischen ihnen. Ein Protagonist<br />

und Interessent <strong>der</strong> Polyrhythmik ist Aaron Copland. Wie viele amerikanische KomponistInnen<br />

studierte auch er die europäische Musiktradition. Bereits in s<strong>eine</strong>r Studienzeit<br />

in den 1920er Jahren befasste er sich mit polyrhythmischen Techniken, mit gegengleichen<br />

Schwingungstechniken <strong>der</strong> Art, wie diese musikalisch beschrieben und aufgeschrieben<br />

werden können, und mit den Schwierigkeiten, diese Art von Musik aus- und aufzuführen.<br />

Am Beispiel Coplands erwähnt Rattle ein gemeinsames Merkmal <strong>der</strong> amerikanischen klassischen<br />

Musik: Sie entwickelt sich in enger Verbindung mit den an<strong>der</strong>en Künsten ihrer Zeit,<br />

vor allem dem Tanz, <strong>der</strong> Dichtung, dem Film und dem Theater. Appalachian Spring aus dem<br />

Jahr 1944 dient hier als Klangbeispiel. Das Werk entstand im Auftrag <strong>der</strong> Martha Graham<br />

Dance Company, <strong>der</strong> Titel ist <strong>eine</strong>m Gedicht des amerikanischen Dichters Hart Crane entnommen,<br />

das Bühnenbild <strong>der</strong> Uraufführung stammt von <strong>der</strong> japanisch-amerikanischen Künstlerin<br />

Isamu Noguchi. Copland schreibt breit klingende und melodisch einfache Filmmusik<br />

ebenso wie sehr komplexe, „schwierige“ Musik. Wichtig ist ihm, vor allem nach dem New<br />

Deal und dem Eintritt Amerikas in den Zweiten Weltkrieg, ausdrücklich Musik zu schreiben,<br />

die sich nicht nur an <strong>eine</strong> Elite wendet.<br />

Als Exempel für den immer aufs Neue wirksamen und immer wie<strong>der</strong> aktuellen Einfluss von<br />

Immigration auf das „Antlitz“ <strong>eine</strong>s Landes und s<strong>eine</strong>r Menschen wählt Rattle den von den<br />

Nationalsozialisten zur Flucht gezwungenen deutschen Komponisten Kurt Weill. Als Musikbeispiel<br />

dient A Lonely House aus <strong>der</strong> American Opera Street Scene, die Weill 1947 komponierte<br />

und für die <strong>der</strong> Schriftsteller Langston Hughes die Liedtexte schuf. Ort <strong>der</strong> Handlung<br />

ist die Straße <strong>eine</strong>s Armenviertels in New York, Zeit <strong>der</strong> Handlung das Jahr 1946. Lie<strong>der</strong>,<br />

Texte und Kompositionsstil stehen für das nahtlose Synchronisieren europäischer Opern -<br />

tradition mit dem amerikanischen Musical. Musikalisch kenntlich und hörbar werden zum<br />

<strong>eine</strong>n <strong>der</strong> Sprachakzent, und zwar sowohl durch die Artikulationsweise als auch über<br />

die Modulation <strong>der</strong> Sprach(e)-Melodie, und zum an<strong>der</strong>en die für das Migrationsschicksal<br />

charakteristische Sehnsucht nach dem Verlorenen, dem Vergangenen. Die Musik erzählt von<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Form <strong>der</strong> Vereinsamung des/<strong>der</strong> Einzelnen trotz und inmitten <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong><br />

vielen, an <strong>der</strong>en Leben er/sie „hörend“ durch die Geräusche des Lebens – Schnarchen, das<br />

W<strong>eine</strong>n <strong>eine</strong>s Babys, das Knarren <strong>der</strong> Stiegen, das Läuten <strong>eine</strong>s Telefons – teilhat.<br />

In <strong>der</strong> letzten von uns ausgewählten Station von Simon Rattles musikalischer Reise spricht<br />

er von <strong>der</strong> Direktheit – im Sinn von ungeschönter Geradlinigkeit – im Ausdruck, ein Begriff,<br />

den er für treffend hält, um das Charakteristikum des Amerikanischen zu beschreiben. John<br />

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