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eine zentrale Frage der Wissensvermittlung (pdf)

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Literaritätspraxis hierzulande – <strong>eine</strong> (sehr) kl<strong>eine</strong> Auswahl 89<br />

Mit ihnen zusammen habe ich gelernt. Ich bin intuitiv an die Sache herangegangen, habe<br />

mit den Roma geredet und mir ihre Vorstellungen angehört.<br />

Heißt das, dass Sie vorher nie mit Roma zu tun gehabt haben?<br />

D. H.: Doch. Ich bin aus <strong>der</strong> Gegend, ich bin im Burgenland sozialisiert, das hat natürlich<br />

<strong>eine</strong> gewisse Rolle gespielt. Ich bin aber nicht am unteren Ende <strong>der</strong> sozialen Skala aufgewachsen,<br />

son<strong>der</strong>n am oberen Ende – als deutschsprachiger Burgenlän<strong>der</strong>. Ich bin aber sicherlich<br />

auch deshalb von den Roma eher akzeptiert worden, weil mein Großvater im KZ war<br />

und hingerichtet worden ist. Wäre ich <strong>der</strong> Enkel m<strong>eine</strong>s Großonkels, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> SS war,<br />

hätte sich nichts abgespielt. Das sind Rahmenbedingungen, die sich ergeben haben. Als ich<br />

im Burgenland aufgewachsen bin, hat man mir erklärt, dass man bei „den Zigeunern“ aufpassen<br />

muss, wenn sie ins Geschäft einkaufen kommen. Ich habe als kl<strong>eine</strong>r Bub Watschen<br />

bekommen, weil ich mit ihnen am Bach gespielt habe. Und die ganze Kleinstadt, in <strong>der</strong> ich<br />

aufgewachsen bin, hat in den 1970er Jahren diskutiert, ob sich „<strong>eine</strong>r von denen“ bei uns<br />

ein Haus kaufen darf o<strong>der</strong> nicht – er ist ja „ein Zigeuner“. Dann ist man aber draufgekommen,<br />

er hat Geld, und er hat <strong>der</strong> Kirche etwas gespendet und dem Sportverein, und schöne<br />

Töchter hat er auch. So ist er also im Ort aufgenommen worden. Das war mein Background.<br />

Von m<strong>eine</strong>m linguistischen Background her wusste ich zwar, dass ethnische Min<strong>der</strong>heiten<br />

bis zu <strong>eine</strong>m gewissen Grad auch soziale Min<strong>der</strong>heiten sind, in welcher Situation sie aber<br />

auch soziolinguistisch waren, das wusste ich nicht. Ich kannte die Probleme zum Teil aus<br />

<strong>der</strong> Literatur, aber das bezog sich alles auf die USA – die Soziolinguistik ist ja ein angloamerikanisches<br />

Fach. Genutzt haben <strong>der</strong> Rat von Denison, und auch die Unterstützung von<br />

Sornig, m<strong>eine</strong>m zweiten Lehrer. Er riet mir nicht nur, hinzugehen und mir anzuschauen,<br />

was sie wollen. Er ist auch mitgefahren, als Universitätsprofessor, was dem ganzen Vorhaben<br />

ein größeres Prestige verliehen hat.<br />

Und wie funktionierte <strong>der</strong> Kontakt mit Ihren AuftraggeberInnen, den Burgenland-Roma?<br />

D. H.: Mir war relativ schnell klar, dass die Burgenland-Roma <strong>eine</strong> isolierte Gruppe innerhalb<br />

<strong>der</strong> Roma-Sozietät sind, die unter ganz spezifischen Bedingungen leben. Mein eigentlicher<br />

„Auftraggeber“ war ja Emmerich Gärtner-Horvath als Einzelperson. Er musste sich<br />

innerhalb s<strong>eine</strong>r Gruppe durchsetzen, weil viele von ihnen das Romani zum Teil als Schutzsprache<br />

gesehen haben, die man nicht verraten darf. Bei den Sinti ist diese Einstellung<br />

noch viel ausgeprägter.<br />

B. S.: Ein kl<strong>eine</strong>s Beispiel dazu: Wir haben mit <strong>eine</strong>r österreichischen Roma-Gruppe zusammengearbeitet<br />

und wollten mit ihnen gemeinsam ein zweisprachiges Märchenbuch herausgeben,<br />

finanziert von <strong>der</strong> Volksgruppenför<strong>der</strong>ung. Aber sie weigerten sich zunächst, sie<br />

waren <strong>der</strong> Meinung, zweisprachig geht nicht, weil sie damit den Gadze (Nicht-Roma; d. Aut.)<br />

ihre Sprache verraten würden. Dann hatten sie die Idee, ein rein deutsches Buch zu machen,<br />

bis wir ihnen erklärten, dass ja gerade die Zweisprachigkeit Sinn und Zweck <strong>der</strong> Sache war.<br />

D. H.: Noch <strong>eine</strong> kl<strong>eine</strong> Anekdote zur Wichtigkeit von Schrift. Einer <strong>der</strong> Sinti-Chefs hat mir<br />

erzählt: „Wir brauchen dringend <strong>eine</strong> Schrift.“ Weil, erklärte er, als er einmal im Gefängnis<br />

war, hat er s<strong>eine</strong>n Leuten auf Romanes geschrieben, und sie konnten das kaum lesen.<br />

Das war ein Motiv für das Schreiben.

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