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eine zentrale Frage der Wissensvermittlung (pdf)

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Literaritätspraxis hierzulande – <strong>eine</strong> (sehr) kl<strong>eine</strong> Auswahl<br />

sen und schärfte ihr ein, es sich unbedingt vorher durchzulesen. Sie setzt sich also hin,<br />

beginnt vorzulesen und fängt plötzlich zu lachen an: „So schreibt’s ihr das?“ Das ist ein<br />

schönes Beispiel dafür, dass ihr die Schriftlichkeit total fremd war, sogar für <strong>eine</strong>n Text,<br />

<strong>der</strong> von ihr selbst stammt.<br />

Ich habe später Verschriftlichungen mit den Wiener Lovara gemacht und einige an<strong>der</strong>e<br />

Roma-Gruppen aus Ungarn und dem südslawischen Raum bei <strong>der</strong> Verschriftlichung beraten.<br />

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man den Leuten das geben muss, was ihnen am<br />

Vertrautesten ist. Man muss aber gleichzeitig aufpassen: Schrift hat sehr viel mit Prestige<br />

zu tun. Ich habe ja schon von den Diskussionen erzählt, die wir zu Beginn mit den Burgen -<br />

land-Roma über die geeignetste Variante <strong>der</strong> Verschriftlichung hatten, und dass, als wir<br />

über die Hatscheks diskutierten, Emmerich Gärtner-Horvath, also unser erster Auftraggeber,<br />

sagte: „Ein Emmerich Gärtner-Horvath mag k<strong>eine</strong> kroatischen Stricherln.“ Das ist wirklich<br />

ein sehr typisches Beispiel.<br />

Was bedeutet das konkret, den Leuten das ihnen Vertrauteste zu geben?<br />

D. H.: Im Verlauf <strong>der</strong> Arbeit habe ich gelernt, auch wenn mich die großen Romologen dafür<br />

fast erschießen wollten, man muss den verschiedenen Roma-Gruppen ein Verschriftlichungsprodukt<br />

bieten, mit dem sich <strong>eine</strong> möglichst große Anzahl von Gruppenmitglie<strong>der</strong>n zu <strong>eine</strong>m<br />

möglichst hohen Grad identifizieren kann. Es wird k<strong>eine</strong>m alles passen, aber man muss<br />

ihnen <strong>eine</strong> möglichst hohe Identifikationsmöglichkeit bieten. Ohne diese Akzeptanz werden<br />

sie es nicht verwenden, werden sie es nicht lesen, ist es nicht ihres.<br />

Das heißt, es gibt nicht so etwas wie e i n e Variante, mit <strong>der</strong> alle zufrieden sind?<br />

D. H.: Genau das versuchen wir jetzt mit unseren neuen Dokumentationen herauszuarbeiten.<br />

Da ist die primäre <strong>Frage</strong>stellung: Wie dokumentiert man sprachliche Pluralität? Wir<br />

wollen wegkommen von dieser linearen Sprachplanung, die über Selektion läuft. Davon,<br />

dass man <strong>eine</strong>n Dialekt nach irgendwelchen Prestige-Kriterien ausweist, <strong>eine</strong>n Corpus um<br />

ihn baut, ihn analysiert, ein Grammatikwörterbuch erstellt, ihn standardisiert und implementiert.<br />

B. S.: Deshalb bieten wir in unserem Projekt ROMLEX (lexikalische Datenbank, dokumentiert<br />

die wichtigsten Roma-Sprachen Europas, insgesamt sind 25 Roma-Dialekte verfügbar; d. Aut.)<br />

verschiedene Romani-Varianten an, mit konsistenter Schreibweise. Und innerhalb dieser<br />

Varianten weitere Varianten – auch wenn sie uns selbst nicht immer gefallen –, wir bieten<br />

mehrere Aussprachevarianten <strong>eine</strong>s Wortes o<strong>der</strong> mehrere verschiedene Wörter für ein Konzept.<br />

Man muss sich also nicht für <strong>eine</strong>s entscheiden, die stehen nebeneinan<strong>der</strong>.<br />

D. H.: Wobei da wie<strong>der</strong> <strong>eine</strong> große <strong>Frage</strong> aufgeworfen wird: Wenn wir ein gedrucktes Wörter -<br />

buch produzieren, dann muss es <strong>eine</strong> Reihenfolge geben. Dadurch entsteht wie<strong>der</strong> <strong>eine</strong><br />

Wertung. Wie halten wir die raus?<br />

Wir arbeiten nach folgendem Prinzip: Romani ist ein heterogener Varietätencluster mit homogenisierendem<br />

Kern. Wir versuchen, diese Varietäten als gleichberechtigt zu erfassen und<br />

innerhalb <strong>der</strong> Varietäten auch die Varianzen. Und wir versuchen, nicht präskriptiv zu arbeiten,<br />

son<strong>der</strong>n deskriptiv.

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