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eine zentrale Frage der Wissensvermittlung (pdf)

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Literaritäten im Kontext<br />

In den 1970er Jahren reagierte Numeracy auf die ersten Befunde über Anzeichen <strong>eine</strong>s<br />

grundlegenden gesellschaftlichen Wandels. Vorerst schien das Problem vor allem <strong>eine</strong>s von<br />

spezifischen Zielgruppen zu sein, zum <strong>eine</strong>m von jungen Erwachsenen mit geringer Schulbildung,<br />

zum an<strong>der</strong>en von durchaus berufserfahrenen Erwachsenen in traditionellen „Arbeiter -<br />

berufen“ mit lange zurückliegen<strong>der</strong> schulischer Grundbildung. In den Anfangsjahren <strong>der</strong><br />

Beschäftigung mit Numeracy lag daher <strong>der</strong> Schwerpunkt <strong>der</strong> ExpertInnen darauf, Erwachsene<br />

beim Nachholen und Abdecken von „Rechenlücken und Rechenschwächen“ zu unterstützen.<br />

Adult Numeracy etablierte sich vorerst als „<strong>der</strong>“ Bereich von Numeracy, ja Numeracy<br />

und Adult Numeracy schienen damals identisch zu sein. Die inhaltliche Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

bestand darin, „einfache“ Rechenfertigkeiten und Rechenkenntnisse so aufzubereiten, dass<br />

sie für Erwachsene interessant sind. Die Konzeption und Vermittlungsarbeit in diesen Numeracy-Kursen<br />

konfrontierte die ExpertInnen schließlich zunehmend mit den Grundfragen<br />

mathematischer Bildung und Literarität. Was sind die Grundlagen für <strong>eine</strong> breite Anwendung?<br />

Welche Rolle spielt die Anwendung für das Lernen und Verstehen? Wie hat <strong>eine</strong><br />

mathematische Grundlagenbildung auszusehen, die auf viele Bereiche <strong>der</strong> Anwendung vorbereitet?<br />

Wie hängen außermathematische Aspekte und Fähigkeiten mit mathematischen<br />

zusammen? Wie komplex sind Grundbaust<strong>eine</strong> mathematischer Literarität? Die Auseinan<strong>der</strong> -<br />

setzung mit diesen <strong>Frage</strong>n wurde zum roten Faden <strong>eine</strong>s gemeinsamen Arbeitsfeldes Numeracy.<br />

Die Numeracy-ExpertInnen bilden seither <strong>eine</strong> kooperativ arbeitende internationale<br />

Gemeinschaft von TheoretikerInnen und PraktikerInnen unterschiedlicher Disziplinen, vor<br />

allem <strong>der</strong> Mathematik und Statistik, aber auch aus an<strong>der</strong>en Bereichen, etwa <strong>der</strong> Sozial- und<br />

Kognitionswissenschaften.<br />

Mathematik als Wissens- und Denkkultur<br />

Eine <strong>der</strong> bedeutendsten Arbeiten für das einschlägige Forschungs- und Bildungsfeld Numeracy<br />

und so etwas wie ein gemeinsamer Nenner <strong>der</strong> verschiedenen Strömungen ist die des<br />

Mathematikers Hans Freudenthal (1905-1990). Für ihn besteht die <strong>zentrale</strong> kulturelle und<br />

gesellschaftliche Funktion <strong>der</strong> Mathematik darin, mit ihren Konzepten, Strukturen und Ideen<br />

Instrumente zur Bearbeitung aller Erscheinungen <strong>der</strong> physischen, sozialen und mentalen<br />

Welt zu liefern. Er spricht von <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>eine</strong>r „Blickumkehr“ bei <strong>der</strong> Betrachtung<br />

des Mathematischen als Wissens- und Denkkultur. Man müsse den Gebrauch <strong>der</strong> Mathematik<br />

von daher beschreiben, wie sie dazu dient, sich in <strong>der</strong> Welt zu verständigen und zurechtzufinden.<br />

Er nennt dieses am Leben orientierte Verständnis von Mathematik horizontal, im<br />

Unterschied zu <strong>eine</strong>m vertikalen Verständnis, das sich an den Organisationsprinzipien von<br />

Mathematik als wissenschaftlichem Fach orientiert.<br />

Zentral für das von Freudenthal entwickelte Modell <strong>eine</strong>r Realistic Mathematics ist <strong>der</strong> Stellen -<br />

wert des Kontexts und dessen Bedeutung für das Unterrichten. Im Unterschied zu <strong>eine</strong>m<br />

von ihm als „mechanistisch“ bezeichneten Ansatz ist <strong>der</strong> Kontext nicht das, worauf das<br />

mathematisch Gelernte – sozusagen als fertiges Produkt, als Resultat – angewandt wird,<br />

son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong> Ausgangs- und Ansatzpunkt, aus dem Lernen als Prozess resultiert.<br />

Der Kontext ist aber k<strong>eine</strong>swegs nur auf das äußere Umfeld bezogen, das Mathematik zu<br />

erforschen hat, son<strong>der</strong>n schließt Phantasien, Geschichte und Geschichten, Vorstellungen und<br />

Ideen, Hypothesen und Vermutungen <strong>der</strong> Lernenden ebenso ein wie knifflige formale mathematische<br />

Aufgabenstellungen. Kontext beinhaltet also das Denken selbst, und als dessen<br />

Teil das mathematische Denken, dessen Geschichte und <strong>zentrale</strong> Ideen, ebenso wie das<br />

Denken <strong>der</strong> SchülerInnen, also die Realität in ihren Köpfen. Erst beim Durchdringen des

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