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Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

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„Interessanterweise war das Fotografieren der Toten nicht immer eine ge-<br />

fährliche Angelegenheit. Anfangs war es eine weitverbreitete Anwendungs-<br />

form <strong>des</strong> Mediums. Alte Menschen, für die die Fotografie zu spät gekommen<br />

war, als daß sie an die bedeutenden Augenblicke ihres Lebens hätte erinnern<br />

können, trafen sorgfältige Vorkehrungen, um mit ihrer Hilfe ihre letzte Reise<br />

zu dokumentieren. Tote Babys waren ein weiteres beliebtes Thema. Obwohl<br />

diese Praxis unserem heutigen Denken etwas makaber vorkommt, schienen<br />

die Menschen großen Trost darin zu finden. Trost spendete auch die soge-<br />

nannte Geisterfotografie, die (mittels Doppelbelichtung) über die Schulter<br />

der Witwe oder <strong>des</strong> Witwers ein Bild <strong>des</strong> lieben Verstorbenen schweben<br />

ließ.“ (Ewing 1998: 240)<br />

verwesender leIchnAm<br />

Abbildungen von Leichen in der zeitgenössischen Kunst sind daher sowohl<br />

vor dem Hintergrund der Kunstgeschichte, als auch vor dem Hintergrund<br />

heutiger Totenriten zu beurteilen, die im Gegensatz zur (Katastro-<br />

phen-)Berichterstattung in den Medien stehen. Denn angesichts der Para-<br />

den von To<strong>des</strong>bildern in den Massenmedien bewähren sich nicht viele<br />

Leichenabbildungen als ekelhaft. nach Thomas Zaunschirm können nur<br />

Aufnahmen von Toten Emotionen auslösen, an die man sich trotz der<br />

medialen Überflutung nicht gewöhnt, wie Edward Westons Toter Mann (1937),<br />

Jeffrey Silverthornes Listen ... The Woman Who Died in Her Sleep (1972-1974) oder<br />

Therese Frares sterbender Aidskranker im Kreis seiner Familie, das erst als<br />

Benetton-Plakat zum Skandal wird (vgl. Zaunschirm 2001: 61, siehe Abb. 83).<br />

Für die Betrachtung von To<strong>des</strong>abbildungen unter <strong>Ekel</strong>gesichtspunkten sind<br />

die Leichen-Fotografien von Andres Serrano, Hans Danuser und Boris<br />

nieslony ebenfalls zu berücksichtigen.<br />

Jeffrey Silverthornes Fotoserie Listen entsteht ab 1972 in der Pathologie.<br />

Der Künstler zielt darin auf einen unverfremdeten Umgang mit dem Tod,<br />

bildet ihn objektiv ab, als wolle er zu einem Verstehen und Akzeptieren <strong>des</strong><br />

To<strong>des</strong> auffordern. Aus dieser stillen nüchternheit leiten sich jedoch auch<br />

Schrecken und <strong>Ekel</strong> ab: Die Toten dieser Serie sind noch nicht im Verfall<br />

begriffen, aber sie implizieren – im Sinne der Definition von Kolnai (der<br />

Tod sei niemals als bloßes nichtfunktionieren<strong>des</strong> Lebendiges ekelhaft, sondern<br />

nur dann, wenn dieser noch eine Lebensäußerung beinhalte, vgl. Kolnai<br />

1929: 140) – einen Rest Leben, stehen auf dem imaginären Zeitstrahl<br />

<strong>des</strong> To<strong>des</strong>zeitpunktes bis zum Skelett noch ganz am Anfang der Transformation<br />

der Materie. So scheint sich The Woman Who Died in Her Sleep (Abb.<br />

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