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Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

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der Andere<br />

sitzenden Akt von 1910 mutiert der Künstler zum Krüppel […]. Wut und<br />

Zorn deuten auf eine weitere Stufe der Eskalation in der Auseinanderset-<br />

zung mit geistiger Leere und der Bedrohung durch das nichts. Beziehungen<br />

zum Motiv <strong>des</strong> Schmerzensmannes sind offensichtlich, <strong>des</strong> Stellvertreters,<br />

der die Leiden anderer auf sich nimmt, <strong>des</strong> Künstlers als Retter mit<br />

mythisch-missionarischem Auftrag.“ (ebd. 141-147)<br />

Weitere knapp zwanzig Jahre später veröffentlichen Louis Aragon und An-<br />

dré Breton in ihrer Zeitschrift La Revolution Surréaliste einen ironischen Ge-<br />

denkartikel zum fünfzigjährigen Jubiläum der Hysterie, der auf die Ikono-<br />

grafie der Besessenen und die angefügten bildlichen sowie fotografischen<br />

Dokumentationen der Symptome und Körperhaltungen hysterisch Kran-<br />

ker von Charcot und Richer zurückgeht (vgl. Abb. 169, Le Cinquatenaire de<br />

L´Hysterie 1878 – 1928, 1928):<br />

„Selbstverständlich war nicht die Hysterie – was immer sie auch sei – fünfzig<br />

Jahre alt geworden; man hätte da eher Grund gehabt, die viertausendjährige<br />

Existenz einer Krankheit solchen namens zu feiern. Doch seit den siebziger<br />

Jahren <strong>des</strong> vergangenen Jahrhunderts hatte der berühmte Pariser neurologe<br />

Jean Martin Charcot Fallgeschichten und Bilder der Hysterie veröffentlicht,<br />

die in vielerlei Hinsicht Antonin Artauds ‚Theater der Grausamkeit’ oder<br />

Salvador Dalis paranoische Visionen vorwegnahmen.“ (Schneider 1988:<br />

138)<br />

Mit der Entwicklung der Avantgarde greift die bildende Kunst in gewisser<br />

Weise den Sozialwissenschaften vor, denn Menninghaus zufolge wird das<br />

Abjekte erst 1980 bei Kristeva zum Leitstern eines theoretisch ambitionierten<br />

und politisch aufgeladenen Diskurses. Seitdem müssten alle kulturellen<br />

Regeln aus der Perspektive <strong>des</strong>sen gelesen werden, was sie diskriminieren:<br />

dieses Andere, das sie nicht integrieren können oder wollen, ist dann ihr<br />

jeweiliges Abjekt – ob es sich dabei um Frauen, Homosexuelle, ethnische<br />

Minoritäten, AIDS-Kranke oder eben anstößige Kunstwerke handelt. Und<br />

zweitens müsse das Abjekte, mehr oder weniger provokativ, als positive<br />

Andersheit gegenbesetzt, die Legitimität seiner Diskriminierung daher in<br />

Frage gestellt werden (vgl. Menninghaus 1999: 517).<br />

II.3.2 Zeitgenössische Kunst<br />

Wie es zu zeigen galt, spiegeln ikonografische Darstellungen <strong>des</strong> ethnisch,<br />

sozial und medizinisch Anderen oftmals willkürliche gesellschaftliche Vorstellungen<br />

wider – und manifestieren sich gelegentlich in regelrechten Ver-<br />

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