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Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

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der Andere<br />

Sinne <strong>des</strong> Wortes zu ‚Objekten’ eines Zweigs der Fotografie, der sich als<br />

wissenschaftliche Disziplin versteht und von angesehenen Wissenschaft-<br />

lern betrieben wird. Wie bei der ethnografischen Fotografie und der Tä-<br />

tertypenlehre glaubte man auch hier, dass sich an der äußeren Gestalt <strong>des</strong><br />

Menschen innere Regungen und verhaltenspsychologische Dispositionen<br />

ablesen lassen. namentlich das Gesicht glaubte man als Spiegel der Seele zu<br />

erkennen (vgl. ebd. 11f). Im Zuge der medizinischen Dokumentation werden<br />

Bilder von Verwachsungen bald auf den Weltausstellungen gezeigt und<br />

dann als Kuriositäten auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht,<br />

bevor sie sich auf Jahrmärkten und in speziellen Wachsfigurenkabinetten<br />

zunehmender Beliebtheit erfreuen. Hier wird der Mensch zum Objekt ungezügelten<br />

Interesses, denn der prüfende Blick gilt als statthaft, verletze<br />

an jenen Orten nicht die Intimsphäre, sei nicht aufdringlich und bedürfte<br />

keiner Rechtfertigung oder Entschuldigung (vgl. Dressler 2001: 101; siehe<br />

Abb. 163, o. T., anonym, um 1890; Abb. 164, Missgeburt mit zwei Extra-<br />

Beinen, anonym, um 1900 und Abb. 165, Die Hilton siamesischen Zwillinge<br />

vom Progress Studio, 1925).<br />

„Wir sehen gerne weg, wenn wir mit Bildern der Kranken, Entstellten [...]<br />

konfrontiert werden, aber im 19. Jahrhundert wurde reger Handel mit solchen<br />

Fotografien <strong>des</strong> Anderen getrieben: Im Zirkus präsentierte Abnormitäten<br />

wie eine Frau mit Bart, siamesische Zwillinge etc. waren beliebte<br />

Sammel- und Tauschobjekte.“ (Ewing 1998: 239)<br />

Doch nicht nur die Physiognomie, auch Studien von Verhaltensweisen, die<br />

als Vorläufer der Psychologie und Psychoanalyse angesehen werden können,<br />

haben zunehmend Einfluss auf das Abbild <strong>des</strong> Menschen. Bis zum<br />

Beginn <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts verwirklicht der Wahnsinnige nach Johann<br />

Glatzel noch die allgemeinste Gestalt <strong>des</strong> Asozialen, deren Anblick gleichermaßen<br />

Schrecken, Abscheu und Mitleid errege:<br />

216<br />

„Die Krankengeschichten, die in den deutschsprachigen Fachzeitschriften<br />

aus den ersten beiden Jahrzehnten <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts […] veröffentlicht<br />

wurden, enthalten noch Schilderungen psychisch Kranker, deren sprachliches<br />

und nichtsprachliches Verhalten ebenso wie ihr Äußeres den Betrachter<br />

nicht nur befremdeten, sondern auch mit einem widerwilligen Entsetzen<br />

erfüllten. Der Verletzung <strong>des</strong> ästhetischen Empfindens entsprach die Entrüstung<br />

angesichts der sittlich-moralischen Verwerflichkeit wahnsinnigen<br />

Redens und Erlebens der Geisteskranken […]. Blättert man […] in dem<br />

psychiatrischen Fachschrifttum […] der ersten Jahrzehnte <strong>des</strong> 20. Jahrhunderts,<br />

so erkennt man, daß der Versuch, die Erscheinungsweisen psychischer

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