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Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

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vetulA<br />

Věstonice, Venus von Willendorf etc.) zeigte sich in dieser Untersuchung, wie<br />

sehr die abendländische Kultur den Menschen auf seine Funktion reduziert.<br />

Für die weitere Betrachtung der vetula ergaben sich daraus zwei wichtige<br />

Erkenntnisse: Zum einen kann die alte Frau gerade <strong>des</strong>halb ekelhaft darge-<br />

stellt werden, weil sie nach Ansicht der Kulturgeschichte keine Funktion<br />

hat. Zum anderen dient ihre Darstellung in der bildenden Kunst scheinbar<br />

ausschließlich dazu, bewusst <strong>Ekel</strong> erzeugen zu wollen. Winfried Menning-<br />

haus ist daher der Meinung, dass die unerbittliche Ausschließung <strong>des</strong> ‚alten<br />

Weibes’ das negative Ideal <strong>des</strong> ganzen ästhetischen Systems darstelle (vgl.<br />

Menninghaus 1999: 147). Hier knüpft Anja Zimmermann an, wenn sie aus-<br />

sagt, dass die Überführung <strong>des</strong> – mit Formlosigkeit assoziierten – weibli-<br />

chen Körpers in den Rahmen von Kunst insbesondere den Antagonismus<br />

zwischen rein materieller natur und geformter, ‚erhöhter’ Kultur symbolisiere<br />

(vgl. Zimmermann 2001: 22). Zimmermann geht vor dem Hintergrund<br />

der Geschlechterdifferenz sogar so weit, dass sie das <strong>Ekel</strong>hafte/Abjekte in<br />

erster Linie nicht als tautologisch ekelhaft erklärt, sondern herausstellt, dass<br />

formloses Material generell als weiblich konnotiert und Form dazu komplementär<br />

als männlich gelte (vgl. ebd. 27).<br />

Die vetula-Abbildungen der Kunstgeschichte können den heutigen Betrachter<br />

nicht mehr schockieren oder ekeln, zur Zeit ihrer Entstehung forcieren<br />

sie den <strong>Ekel</strong> vor der alten Frau jedoch massiv. Was mit der entblößten<br />

Brust einer alten Bauersfrau in der Antike geradezu harmlos beginnt, wird<br />

im ausgehenden Mittelalter und in der Renaissance mit einer sich steigernden<br />

<strong>Ekel</strong>haftigkeit der Vanitasbildnisse der vetula fortgesetzt. Historisch<br />

wird in dieser Zeit der <strong>Ekel</strong> vor der alten Frau begleitet durch einen breiten<br />

Entzug ihrer Rechte und in der Folgezeit führt er sogar zum legitimierten<br />

Exzess der öffentlichen Tötung vieler jüngerer und älterer Frauen (Hexenverbrennungen<br />

im Mittelalter/Renaissance).<br />

Auffällig erscheint einerseits, dass in der Kunstgeschichte mit der Darstellung<br />

der vetula lange Zeit das Diktat der Moralisierung verbunden ist. Andererseits<br />

wird sie als ekelhaftes Maximalübel erfunden, um Angriffe auf die<br />

Potenz und den Status <strong>des</strong> Mannes abzuwehren. In der klassischen Ästhetik<br />

zwischen 1740 und 179031 wird die alte Frau – und mit ihr jede Falte ihres<br />

Körpers – als derartig ekelhaft empfunden, dass ihre Existenz mehr und<br />

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