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Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

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FrAgmentIerung <strong>des</strong> Körpers<br />

Ästhetik als peinlich zu vermeiden gilt (vgl. Menninghaus 1999: 82). Da<br />

die Körperverstümmelung jedoch am lebendigen Leib stattfindet (als Stra-<br />

fe, Präventivmaßnahme oder Machtdemonstration; als Ritus, medizinischer<br />

Eingriff oder auch als Selbstverletzung), bringen Wunde, Desorganisation<br />

und Zerstückelung – sozusagen als unerwünschte nebenwirkung – auch<br />

Hinweise auf ein Körperinneres an die Oberfläche.<br />

In der Kunstgeschichte weist die körperliche Fragmentierung häufig auf<br />

eine Entweihung <strong>des</strong> Körpers hin, die auf Bestrafung gründet. Bei einer<br />

gerecht erscheinenden Strafe erfährt der Rezipient die moralische Lust der<br />

Erleichterung, bei einer ungerecht wirkenden Bestrafung ist in aller Regel<br />

ein Martyrium versinnbildlicht, von dem der Kunstbetrachter aber weiß,<br />

das es im Jenseits belohnt werden wird. Letztendlich beinhalten beide<br />

Darstellungen ein ‚Happy End’. Thomas Anz folgert richtig, dass diese<br />

Werke daher eine ganz eigenständige Quelle der Lust darstellen (vgl. Anz<br />

2003: 148).<br />

Wie Claudia Benthien und Christopf Wulf feststellen, geht der mittelalterliche<br />

Glaube an die postmortale Rekomplettierung in der Folgezeit verloren.<br />

Statt<strong>des</strong>sen bleibe die Versehrtheit als solche bestehen (vgl. Benthien/Wulf<br />

2001: 13f). Tatsächlich erfahren Bildnisse geschändeter Menschen seit dieser<br />

Zeit eine neue Dimension <strong>des</strong> Schreckens (z. B. Francisco de Goya).<br />

Der Wendepunkt <strong>des</strong> Körperbewusstseins im 20. Jahrhundert reduziert die<br />

rein ästhetische Lust an der Folter dann so stark wie niemals zuvor. Ein<br />

Teil der Werke erhebt dabei einen fast wissenschaftlichen Anspruch (Luis<br />

Buñuel/Salvador Dali), aber auch künstliche Körperteile werden seitdem<br />

als Zeichen für Körper arrangiert (Umbro, Werner Rohde, Hans Bellmer).<br />

Die als ekelhaft geltende Selbstverletzungsthematik deutet sich in der Legende<br />

der Amazonen an, weitet sich in zahlreichen Zeichnungen von Écorchés<br />

im 16. und 17. Jahrhundert aus und inspiriert auch die Moderne. Doch<br />

erst seit 1960 wird sie in der Kunst real praktiziert, indem der Körper zum<br />

Material wird. Mario Perniola weist darauf hin, dass die extremen Selbstverletzungsperformances<br />

<strong>des</strong> no limits immer die nähe zum Unreinen suchen<br />

würden, von der Überschreitung traditioneller Grenzen geprägt seien, versuchen<br />

würden, sich der Demütigung und Verachtung zu entziehen und<br />

immer auch das Risiko der Selbstzerstörung mit einkalkulieren würden (vgl.<br />

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