09.12.2012 Aufrufe

Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

Ekel. Ikonografie des Ausgeschlossenen. - Fotostudio Essen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

(Un-)Sinn gewinne: Kinderköpfe oder Kinderleichen würden zusammen mit<br />

herumliegenden Knochen oder Gerippen auf kannibalistischeZeremonien<br />

oder auf die Herstellung von Zaubersalben aus deren Fleisch verweisen,<br />

Würste deuteten auf abgeschnittene (weggehexte) männliche Zeugungsor-<br />

gane, der Dampf aus dem Zauberkessel verdichte sich zu Unwetter oder<br />

lasse eine Hexe auf ihrem Bock oder Besen hoch wirbeln, zugleich durch<br />

Feuer von unten beleuchtet. Die bereitstehenden tierischen Gestalten in<br />

ihrer abgrundtiefen Hässlichkeit, in ihrem Gestank und Dreck machten die<br />

sexuelle Gier der alten Weiber überhaupt erst erfassbar (vgl. ebd. 375). Um<br />

diese sexuelle Gier zu verdeutlichen, werden die Hexenwesen gelegentlich<br />

mit entblößten hängenden Brüsten oder gänzlich unbekleidet dargestellt.<br />

Bei diesen Darstellungen bedingen sich Motiv und Intention auf zwei Ebe-<br />

nen. Auf der (offiziellen) Ebene der Moralisierung und der (persönlichen)<br />

künstlerischer Freiheit, denn bereits dem Dürerschüler Hans Baldung Grien<br />

wird die Motivation nachgesagt, Hexendarstellungen in erster Linie für seine<br />

erotischen Phantasien eingesetzt zu haben. Obwohl die Darstellung dieser<br />

alten und zum Großteil nackten Frauen ein Hauptmotiv seines Werkes ist,<br />

zeigt sich der Künstler wenig informiert über den Hexenkult, denn die kab-<br />

balistischen Zeichen, die er anbringt, sind nach Elie-Charles Flamand gänz-<br />

lich verkehrt gesetzt:<br />

„Das Phantastische <strong>des</strong> Hexenwesens ist [bei Hans Baldung Grien] lediglich<br />

Vorwand zum Zeitvertreib, für sinnliche Visionen. [...] [E]s ist in<strong>des</strong>sen of-<br />

fensichtlich, daß es Baldung vor allem darum ging, eine ungehörige Szene<br />

und einen schönen weiblichen Akt zu malen. [...] Baldung hat gegenüber<br />

dem Hexenwesen stets eine skeptische Einstellung behalten und konnte da-<br />

her freier mit der phantastischen Seite spielen und ihr einen sinnlichen Ton<br />

zufügen.“ (Flamand o. J.: 113).<br />

vetulA<br />

neben den erotischen Phantasien, die durch die Darstellung von Hexen<br />

bedient werden, gibt es noch einen zweiten Aspekt, nämlich den der Angst<br />

vor Fremdem, ausgelöst durch Unwissenheit. Beispielsweise die Medizin<br />

wird noch nicht naturwissenschaftlich verstanden, die Chirurgie ist vielmehr<br />

ein brutales Handwerk, da es keine Betäubungsmittel außer Alkohol gibt,<br />

die Desinfizierung als Notwendigkeit nicht bekannt ist und viele Kranke<br />

nicht unmittelbar durch die Krankheit oder Verletzung selbst, sondern<br />

durch die anschließende Infektion der Wunde sterben. So bleibt das Wissen<br />

um Hygiene und Heilung einer Art ‚Magie’ verhaftet und die Darstellung<br />

57

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!