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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

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von Handwerk und Handel. Allerdings verlangte <strong>die</strong> orthodoxe lutherische Lan<strong>des</strong>kirche <strong>die</strong><br />

unbedingte Anpassung an den lutherischen Ritus, was dann den Anstoß zu Auseinandersetzungen<br />

gab. Im orthodoxen Luthertum war <strong>die</strong> Entscheidung zwischen Autoritätsglauben und<br />

freier evangelischer Überzeugung noch nicht gesichert. Eine Gefahr bedeutete auch <strong>die</strong> sogenannte<br />

Erbvereinigung zwischen Böhmen und Sachsen, eine Vereinbarung, nach der Erbuntertänigen<br />

das Recht auf Auswanderung verweigert war, wenn sie nicht als Knechte und Mägde im<br />

Gefolge ihrer selbst flüchtigen Grundherrschaft gekommen waren.<br />

Anders war <strong>die</strong> Situation in Preußen. Die Hohenzollern hatten sich 1613 dem reformierten<br />

Bekenntnis angeschlossen. König Friedrich Wilhelm I. erließ im Interesse seiner „Peuplierungspolitik"<br />

von 1718 an jährlich ein Patent, daß Kolonisten in Preußen unter günstigen<br />

Bedingungen aufgenommen würden. Gefördert wurden <strong>die</strong> Auswanderungsbewegungen im<br />

18. Jahrhundert in Böhmen und Mähren durch <strong>die</strong> Erweckungspredigten der Hallenser Pietisten<br />

in den schlesischen Gnadenkirchen, <strong>die</strong> Kaiser Josef I. aufgrund der Altranstädter<br />

Konvention von 1707 zulassen mußte. Eine wichtige Rolle spielte <strong>die</strong> Kirche in Teschen, in der<br />

<strong>die</strong> Oberschlesier Johann Liberda und Andreas Macher tschechische Predigten hielten. Die<br />

beiden begegnen uns später wieder in Berlin als Prediger der dort aufgenommenen Böhmen.<br />

1722 entstand bei Berthelsdorf in der Lausitz eine Kolonie mährischer Exulanten deutscher<br />

Sprache, aus der Nikolaus Graf von Zinzendorf eine innerkirchliche Gemeinschaft formte mit<br />

einer Gemeinderegel, <strong>die</strong> derjenigen der alten Brüderunität ähnelte. Wegen Schwierigkeiten mit<br />

dem Staat und der Lan<strong>des</strong>kirche errichtete er daraus ein selbständiges Kirchentum. Mit der<br />

Weihe <strong>des</strong> mährischen Exulanten David Nitschmann im Jahre 1735 und zwei Jahre später von<br />

Graf Zinzendorf zu Brüderbischöfen durch den Berliner Oberhofprediger und Senior der<br />

polnischen Unität Jablonski war <strong>die</strong> Herrnhuter Brüdergemeine als erneuerte Unität entstanden.<br />

Ebenfalls in der Lausitz, in Großhennersdorf, war eine tschechische Exulantenkolonie mit 600<br />

Seelen entstanden, der <strong>die</strong> Gutsherrin Katharina von Gersdorf, eine Großmutter von Graf<br />

Zinzendorf, den vorher schon erwähnten Liberda als Prediger gegeben hatte. Schwierigkeiten<br />

mit der Gutsherrschaft und schlechtere Erwerbsmöglichkeiten als Folge der Zuwanderungen<br />

veranlaßten Liberda, mit einigen Delegierten der Exulanten im Herbst 1732 Friedrich Wilhelm<br />

I., der ein halbes Jahr zuvor <strong>die</strong> emigrierten Salzburger so großzügig aufgenommen hatte,<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Böhmen um Asyl zu bitten. Zunächst abweisend, gestattete er ihnen schließlich den<br />

Einzug in Berlin in kleinen Gruppen, als sie unter den schlimmsten Bedingungen <strong>des</strong> Winters in<br />

verzweifelter Lage an der Grenze der Mark standen und auch nach Sachsen nicht mehr hatten<br />

umkehren können. 500 Menschen waren gekommen, zerlumpt und ermattet und ohne ihren<br />

geistlichen Leiter, denn Liberda war in Sachsen verhaftet und als Aufwiegler, der sächsische<br />

Untertanen wegführe, ins Zuchthaus Waldheim gebracht worden. Sein anfängliches Mißtrauen<br />

überwand der König bald, nachdem er <strong>die</strong> Böhmen als ehrliche und fleißige Leute kennengelernt<br />

hatte. Um sie in Berlin zu halten, ließ er ihnen in der Friedrichstadt 39 Häuser bauen<br />

zwischen Kochstraße und Halleschem Tor und gewährte ihnen noch eine Reihe von Vergünstigungen:<br />

freies Bürger- und Meisterrecht, 5jährige Steuerfreiheit, 2jährigen Mietzinszuschuß,<br />

mehrere 100 Taler zur Beschaffung von Arbeitsmaterial, vorwiegend Garn und Flachs, denn es<br />

handelte sich bei den Exulanten hauptsächlich um Leineweber und Flachsspinner, und <strong>die</strong><br />

Befreiung vom Militär<strong>die</strong>nst. Die Gemeinde wurde zunächst von ihren Ältesten geleitet, <strong>die</strong><br />

täglich eine Morgen- und Abendandacht hielten. Die ersten Trauungen und Taufen vollzog der<br />

Oberhofprediger Jablonski in polnischer Sprache. 1735 berief der König als Prediger den in<br />

Cottbus wirkenden Macher, weil er Liberda nicht freibekommen konnte. Außerdem ließ er<br />

ihnen eine Kirche in der Mauer-, Ecke Krausenstraße bauen, <strong>die</strong> den Namen Bethlehemskirche<br />

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