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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

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Die Abdeckerei in der Jungfernheide<br />

Umweltprobleme vor 125 Jahren<br />

Von Arne Hengsbach<br />

Am 13. Oktober 1861 erschien in der „Vossischen Zeitung" ein Aufsatz unter dem Titel „Der<br />

Nordwesten von Berlin", der Verfasser blieb anonym, er zeichnete nur mit einem „R". Dieser<br />

Artikel steht außerhalb der zu jener Zeit in den Zeitungen erschienenen Beiträge zu Berlin<br />

betreffenden Fragen. In seiner etwa eine Quartseite <strong>des</strong> damaligen Zeitungsformats umfassenden<br />

Darstellung beschäftigt sich der Autor - noch dazu in einer ungewohnten Art - mit einem<br />

Gegenstand, der sonst kaum Beachtung gefunden hat: Mit der damaligen Berliner Abdeckerei.<br />

Derartige Einrichtungen hatten einst das verendete oder gefallene Vieh zu beseitigen und waren<br />

berechtigt, <strong>die</strong> anfallenden Kadaver wirtschaftlich zu verwerten. Die Abdeckereien waren in<br />

früheren Zeiten Vorläufer chemischer Fabriken, aus den Tierkörpern, den Knochen usw.<br />

gewann man u. a. Fette <strong>für</strong> <strong>die</strong> Seifenherstellung, Leime, Knochenmehle. Für <strong>die</strong> Herstellung<br />

derartiger Produkte betrieben <strong>die</strong> Abdeckereien z.B. Leimsiedereien, Talgschmelzen,<br />

Knochenmühlen, Gerbereien. Schon bei der Lagerung der Tierkörper, dann aber auch bei der<br />

Aufbereitung der Erzeugnisse, z. B. beim Auskochen, entstanden penetrante, unerträgliche<br />

Gerüche, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Nachbarschaft, je nach den Windverhältnissen, mehr oder weniger stark<br />

verpesteten.<br />

Schon früh verlegte man daher <strong>die</strong> städtischen Abdeckereien weit hinaus an den äußersten<br />

noch unbewohnten Stadtrand, wo sie ihre Umwelt noch kaum stören konnten. Sie waren in<br />

jenen auch abseits der Vorstädte gelegenen Zonen <strong>die</strong> ersten Ansiedlungen. Auch in Berlin hat<br />

<strong>die</strong> Abdeckerei im Laufe der Zeit verschiedene Standorte am jeweiligen äußeren Stadtrand<br />

gehabt. Der Glaesersche Stadtplan von Berlin aus dem Jahre 1825 verzeichnet <strong>die</strong> „neue<br />

Scharfrichterei" am damaligen Ostrande der Jungfernheide, <strong>die</strong> sich noch über <strong>die</strong> Seestraße<br />

hinaus nach Osten vorschob. Sie hat auf dem Gelände <strong>des</strong> heutigen Rudolf-Virchow-Krankenhauses<br />

westlich vom Augustenburger Platz gelegen.<br />

Die Bezeichnung „Scharfrichterei" wurde häufig auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Abdeckerei verwendet, weil in<br />

früheren Zeiten der Scharfrichter auch <strong>die</strong> Abdeckerei betrieben hatte. Das 1817 erschienene<br />

„Ortschafts-Verzeichnis <strong>des</strong> Regierungs-Bezirks Berlin" führte <strong>die</strong> Abdeckerei in <strong>die</strong>ser Gegend<br />

noch nicht auf, auch <strong>die</strong> Pläne aus der Zeit bis 1820 zeigen sie nicht. So ist anzunehmen, daß sie<br />

in den frühen zwanziger Jahren eingerichtet worden ist, ungefähr zur gleichen Zeit, als der<br />

Berliner Magistrat <strong>die</strong> Weddingsländereien weiter östlich parzellierte. Die Abdeckerei befand<br />

sich nicht nur auf fiskalischem Forstgelände, sie war auch vom Fiskus angelegt worden, der sie<br />

verpachtete und unter <strong>des</strong>sen Aufsicht sie stand.<br />

Bei der abseitigen Lage am Rande eines ohnehin nur dünn besiedelten Gebietes blieb <strong>die</strong><br />

Abdeckerei in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens ziemlich unbeachtet. Über <strong>die</strong> Produkte,<br />

<strong>die</strong> hergestellt wurden, sind wir nur lückenhaft unterrichtet. Die „Vossische Zeitung" vom<br />

26. August 1859 brachte eine kurze Notiz: „In der Jungfernhaide ist vom Scharfrichterei-Pächter<br />

Bitter eine neue Gelatinefabrik errichtet, welche Öl <strong>für</strong> Tuchmacher liefert, welches noch<br />

vor wenigen Jahren größtenteils aus England bezogen wurde. Diese Fabrik arbeitet bereits mit<br />

Dampf." Unklar bleibt, ob damit eine Dampfmaschine gemeint war. Die „Berliner Scharfrichterei<br />

an der Jungfemheide", zum Forstrevier Tegel gehörig, zählte 1861 9 Bewohner, <strong>die</strong> in<br />

einem Wohnhaus lebten, außerdem waren 5 gewerblich genutzte Gebäude vorhanden, als<br />

Betriebsart führt <strong>die</strong> Statistik „Leimsiederei" an. Sowohl <strong>für</strong> <strong>die</strong> Leim- als auch <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

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