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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

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is 1930, hin, in dem <strong>die</strong> Juden in Deutschland von Objekten zu Subjekten der <strong>Geschichte</strong> wurden. In den<br />

Jahrzehnten vor 1933 waren <strong>die</strong> Juden in fast allen Bereichen <strong>des</strong> kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen<br />

und politischen Lebens als aktiv Mitwirkende zu finden. Heute kennt man allenfalls noch Namen einiger<br />

jüdischer Kulturträger aus Wissenschaft und Kunst, aber den „Normaljuden", der jahrzehntelang in der<br />

Nachbarschaft wohnte und als Stadtverordneter, Rechtsanwalt, Arzt, Lehrer oder Handwerker tätig war,<br />

den hat man vergessen oder verdrängt.<br />

In den jetzt immer häufiger auftauchenden Orts- und Gemeindegeschichten wird das Vorkommen der<br />

Juden entweder ganz außer acht gelassen oder meist werden nur <strong>die</strong> Vorgänge hervorgehoben, <strong>die</strong> mit der<br />

„Endlösung" zusammenhängen. Daß dabei besonders der Abschnitt von 1880 bis 1930 vernachlässigt wird,<br />

darin sieht Lowenthal eine historische Lücke. Diese Lücke muß ausgefüllt werden, soll nicht <strong>die</strong> Gefahr<br />

entstehen, <strong>die</strong> deutschen Juden in der öffentlichen Meinung gleichsam ein zweites Mal „auszubürgern"<br />

und damit aus der Erinnerung auszulöschen. In <strong>die</strong>sem Zusammenhang beklagt Lowenthal, daß es <strong>für</strong><br />

viele Großstädte trotz einst blühender jüdischer Gemeinden noch kaum wissenschaftlichen Ansprüchen<br />

genügende Werke über <strong>die</strong> neuere <strong>Geschichte</strong> ihrer jüdischen Bürger gibt, so <strong>für</strong> Berlin, Hamburg, Köln,<br />

München und Düsseldorf. Von <strong>die</strong>ser Kritik nimmt er Frankfurt am Main und das Land Baden-Württemberg<br />

aus, <strong>die</strong> gerade <strong>für</strong> den fraglichen Zeitraum hervorragende Publikationen vorgelegt haben.<br />

Dieser beklagenswerte Forschungsstand hat vor allem bei der jüngeren Generation <strong>die</strong> Vorstellung<br />

genährt, als ob das Zusammenleben von Juden und NichtJuden in Deutschland auch vor dem Nationalsozialismus<br />

ausschließlich von Haß und Verfolgung geprägt war, daß gleichsam <strong>die</strong> „Endlösung" <strong>die</strong><br />

logische vorhersehbare Folge <strong>die</strong>ser Entwicklung gewesen sei und den Jahrzehnten der Gleichberechtigungsillusion<br />

zwölf Jahre der Realität <strong>des</strong> Dritten Reiches gegenübergestanden hätten. Lowenthal macht<br />

dabei auf den Widerspruch aufmerksam, daß im gleichen Atemzug <strong>die</strong> historische Einmaligkeit <strong>des</strong><br />

Nationalsozialismus innerhalb der deutschen <strong>Geschichte</strong> betont wird.<br />

Der Verfasser ist sich zwar der Problematik bewußt, als Chronist und als Betroffener zu <strong>die</strong>sem Thema<br />

Stellung zu beziehen, sieht darin aber auch eine Legitimation, <strong>die</strong> häufig durch Vorurteile bestimmte<br />

Geschichtsschreibung der deutsch-jüdischen Beziehungen zu korrigieren. Trotz <strong>des</strong> unfaßbaren Geschehens<br />

in Auschwitz, das stellvertretend <strong>für</strong> den gesamten Holocaust steht, darf <strong>die</strong> Geschichtsschreibung <strong>die</strong><br />

Jahrzehnte, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sem Ereignis vorausgingen, nicht vernachlässigen oder sie ausschließlich unter <strong>die</strong>sem<br />

Aspekt sehen. Damit, so warnt Lowenthal, werde einer objektiven Geschichtsbetrachtung der Weg<br />

versperrt.<br />

Im zweiten Teil seiner Schrift gibt Lowenthal ausführliche Hinweise, welche Quellen bei der Darstellung<br />

<strong>des</strong> jüdischen Lebens in Deutschland herangezogen werden sollten, um das Bild der jüdischen Gemeinschaften<br />

in deutschen Städten und Regionen zu rekonstruieren und <strong>die</strong> bisher vernachlässigten Zeitabschnitte<br />

zu erschließen. Durch einen ausführlichen Anmerkungsapparat mit wichtigen Literaturangaben<br />

werden <strong>die</strong>se Hinweise ergänzt. Am Ende <strong>des</strong> Ban<strong>des</strong> sind ferner <strong>die</strong> Laudatio, Informationen über<br />

den Lucas-Preis und eine Liste der bisherigen Preisträger abgedruckt.<br />

Es gelte, so hebt Lowenthal in seinem Vortrag hervor, aus der <strong>Geschichte</strong> zu lernen. „Vergangenheit<br />

verjährt nicht. Sie wirkt in <strong>die</strong> Gegenwart und Zukunft." Jürgen Wetzel<br />

Friedrich Nicolai. 1773-1811. Essays zum 250. Geburtstag. Hrsg. von Bernhard Fabian, Nicolaische<br />

Verlagsbuchhandlung, Berlin <strong>1983</strong>, 304 Seiten, 12 Abbildungen.<br />

Die Nicolaische Verlagsbuchhandlung setzt ihrem „Ahnherrn" das längst überfällige Denkmal und rückt<br />

<strong>die</strong> von der Romantik als einen platten Spießer verketzerte Gestalt ins rechte Licht, in dem ein umfassender<br />

Gelehrter, Unternehmer, Staatsbürger, politischer Meinungsmacher und Anreger berlinischen Geisteslebens<br />

sichtbar wird. - Es ist ein Sammelband von Aufsätzen, <strong>die</strong> ihn aus verblüffend neuen Aspekten<br />

beleuchten; der Herausgeber Fabian summiert: „Nicolai war Autor und Verleger, Kaufmann und Literat<br />

in einer Kombination, wie es ihn kaum ein zweites Mal in seiner Epoche und vielleicht auch in der<br />

deutschen Literaturgeschichte nicht gegeben hat. Er war der echte Berliner und zugleich jemand, <strong>des</strong>sen<br />

Blick weit über Deutschland hinausging" (S. 8). Er nennt ihn ein „Vermächtnis, an dem wir uns zu<br />

bewähren haben".<br />

Der Leser nimmt solche Herausforderung gern an, nachdem er <strong>die</strong> Nicolai-Gestalt in <strong>die</strong>ser Bedeutsamkeit<br />

gesehen hat. Der Herausgeber betont, daß mit <strong>die</strong>ser Aufhellung keine Ehrenrettung beabsichtigt sei. Es ist<br />

aber doch eine geworden. Und warum sollte der Mendelssohn- und Lessing-Freund nicht gerade im Jahr<br />

<strong>des</strong> Stadtjubiläums aufgewertet ins Bewußtsein gerufen werden, zumal sein späteres Wohnhaus in der<br />

Brüderstraße als einer der wenigen Bürgerbauten aus friderizianischer Zeit in Ost-Berlin erhalten geblie-<br />

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