29.01.2013 Aufrufe

Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

In der Nazizeit beherbergten <strong>die</strong> Gebäude an der Finckensteinallee mit der Leibstandarte Adolf<br />

Hitlers eine Eliteeinheit <strong>des</strong> Systems, <strong>die</strong> wie keine andere dem Ungeist, dem Rassenwahn und<br />

dem hemmungslosen Imperialismus <strong>des</strong> Nationalsozialismus verschworen war. Auf dem<br />

Gelände der Kaserne wurden 1934 im Zuge der Röhm-Affäre zahlreiche unbequem gewordene<br />

Parteigänger Hitlers, aber auch Gegner <strong>des</strong> Regimes ermordet.<br />

Die bisher letzte Phase begann im Juli 1945 mit dem Einzug der Amerikaner. Ihr Hiersein steht<br />

einerseits <strong>für</strong> <strong>die</strong> von uns verschuldete Zerrissenheit Deutschlands und andererseits <strong>für</strong> den<br />

Willen zur Behauptung der Freiheit in Berlin und dem westlichen Deutschland. Der gemeinsame<br />

Nenner <strong>für</strong> <strong>die</strong> Nutzung in den Phasen 1,3 und 4 könnte der Begriff „Kaserne" sein. Er ist<br />

jedoch irreführend, da hinter der militärischen Nutzung jeweils völlig unvergleichbare Gesellschaftssysteme<br />

standen bzw. stehen: bis 1918 war es <strong>die</strong> konstitutionelle Monarchie, 1933 bis<br />

1945 <strong>die</strong> NS-Diktatur und nach 1945 <strong>die</strong> Entwicklung zum demokratischen Rechtsstaat.<br />

Hier soll nun aber allein <strong>die</strong> zweite Phase von 1920 bis 1933 untersucht werden, als <strong>die</strong> Anstalt<br />

ganz überwiegend als Schule mit Internat geführt wurde. Mit ihrem fast revolutionären, aber<br />

scheiternden Aufbruch, ihrem allmählichen Übergang in einen national-konservativen, nur<br />

sehr äußerlich demokratischen Geist und ihrem konfliktlosen Aufgehen im NS-Staat spiegelt<br />

auch sie <strong>die</strong> Probleme ihrer Zeit.<br />

Angesichts der vom Versailler Vertrag geforderten sofortigen Auflösung der Kadettenanstalten<br />

machte <strong>die</strong> preußische Regierung aus der Not eine Tugend und wandelte <strong>die</strong> Kadettenanstalten<br />

in Internatsschulen mit der Bezeichnung „Staatliche Bildungsanstalten" um. Kultusminister<br />

Haenisch (SPD) beauftragte Dr. Fritz Karsen, der ihm als Mitglied <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> Entschiedener<br />

Schulreformer bekannt war, mit der Umwandlung der Lichterfelder Anstalt in eine Modellschule,<br />

<strong>die</strong> womöglich richtungweisend <strong>für</strong> das Schulwesen im demokratischen Staat werden<br />

sollte. Das Gebäude hätte <strong>die</strong>sen radikalen Wechsel von der konservativ-monarchischen<br />

Militärpflanzschule zur demokratischen Versuchsschule allenfalls vertragen, nicht aber <strong>die</strong><br />

Insassen! Es ist <strong>für</strong> den heutigen Betrachter unverständlich, mit welchem geradezu naiven<br />

Optimismus sowohl das Ministerium als auch Fritz Karsen daran gingen, <strong>die</strong> 700 bis 800<br />

uniformierten, militärisch gedrillten, entsprechender Familientradition verpflichteten, von der<br />

Dolchstoßlegende schon infizierten und allen demokratischen Ansätzen min<strong>des</strong>tens mit<br />

Reserve, wenn nicht mit Ablehnung begegnenden Zöglinge in „innerlich selbständige, verantwortungsfrohe<br />

Persönlichkeiten <strong>für</strong> eine demokratische, von sozialem Willen beseelten<br />

Gesellschaft" (Karsen) zu verwandeln. Das konnte nicht gutgehen.<br />

Die offizielle Schließung der Hauptkadettenanstalt erfolgte am 9. März 1920, der nicht zufällig<br />

der To<strong>des</strong>tag Kaiser Wilhelms I. war. Die Kadetten waren in voller Uniform in der Anstaltskirche,<br />

auf der der Erzengel Michael mit dem Flammenschwert weithin sichtbar grüßte,<br />

versammelt. Nach Gottes<strong>die</strong>nst und Choral verlas Exzellenz von Bardeleben, der letzte Kommandeur<br />

der Hauptkadettenanstalt, <strong>die</strong> Auflösungsverfügung der Regierung und schritt mit<br />

General Ludendorff, selbst Zögling der Anstalt, <strong>die</strong> Front der angetretenen Kadetten ab. Die<br />

Abgabe der Fahnen <strong>des</strong> Kadettenkorps gestaltete sich zu einem Triumphzug. In militärischer<br />

Formation marschierten <strong>die</strong> Kadetten mit ihren Offizieren unter klingendem Spiel einer<br />

Kapelle der Gar<strong>des</strong>chützen durch das Brandenburger Tor zum Kriegsministerium in der<br />

Leipziger Straße.<br />

Es war <strong>die</strong> Zeit <strong>des</strong> Kapp-Putsches, und so verzögerte sich <strong>die</strong> Eröffnung der Staatlichen<br />

Bildungsanstalt (Stabila). Nicht wenige Kadetten hatten sich in <strong>die</strong>sen Tagen in Freikorps und<br />

Bürgerwehren gegen den demokratischen Staat engagiert. Am 5. Mai versammelten sich 700<br />

bis 800 Schüler zur Eröffnungsfeier. Zum größten Teil waren es ehemalige Kadetten, aber auch<br />

neu aufgenommene Söhne Gefallener oder Versehrter, denen das Schulgeld weitgehend oder<br />

442

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!