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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 1983

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ie Brandenburger Judensau<br />

Grundsätze der Gründergeneration <strong>Berlins</strong> im Wandel<br />

Von Joachim Schlenk<br />

Auf ihren Wegen vom Lehniner Altar zum Kloster Lehnin fanden <strong>die</strong> Teilnehmer Ende Mai<br />

<strong>des</strong> Vorjahrs im Dombereich von Brandenburg verschiedene Dokumente, Spolien und Ornamentik<br />

mit figürlichen Darstellungen aus der Zeit um 1237. In Fällen der Bunten Kapelle und<br />

der Judensau waren <strong>die</strong> baugeschichtlich datierten Zeugen aus der Gründungszeit <strong>Berlins</strong><br />

sogar in ursprünglichen Zusammenhängen erhalten. Sie gewinnen zur 750-Jahr-Feier unserer<br />

Stadt erneut an Aktualität. Vermittelt <strong>die</strong> Bunte Kapelle nur gewisse Färb- und Raumvorstellungen,<br />

so gewährt <strong>die</strong> Judensau einen direkten Einblick in das Denken und den künstlerischen<br />

Ausdruckswillen unter dem Bischof, <strong>des</strong>sen geistlicher Gewalt auch <strong>die</strong> Gründergeneration<br />

<strong>Berlins</strong> unterstellt gewesen war.<br />

Unter Judensau im engeren Sinn wird ein Kunstmotiv verstanden, das Menschen mit Judenhüten,<br />

später auch Gugeln, gelben Jüdenringlein, Hörnern oder anderen Abzeichen ihrer<br />

Glaubenszugehörigkeit 1 an einer realistisch in Seitenansicht dargestellten Sau zeigt. Die Sau<br />

säugt einige <strong>die</strong>ser Menschen. Andere befinden sich vor oder hinter der Sau. Einer liest. Seit der<br />

Renaissance fängt er auch den Urin oder den Kot der Sau mit dem Mund oder einem Behälter<br />

auf. In verschiedenen Fällen ist <strong>die</strong> Darstellung beschriftet. Das Mittelalter umschreibt darin<br />

den Begriff „Judensau", der sich erst in unserem Jahrhundert durchgesetzt hat. Das Motiv<br />

erscheint in zahlreichen Abwandlungen in Bildschnitzerei, Bauplastik, Malerei, Glasmalerei, in<br />

der Druckgraphik, in Buchillustrationen bis hin zum Flugblatt. Das Motiv soll aus mittelalterlichen<br />

Lasterdarstellungen entstanden sein, und zwar von Luxuria und Gula. Seine Verbreitung<br />

erstreckt sich von Aerschot, etwa 50 km nordöstlich von Brüssel, bis Gnesen und von<br />

Uppsala bis Salzburg. Über alle Ausführungen liegt eine Monographie von Isaiah Shachar<br />

vor. 2 Behandelt sind darin auch Geißelung Christi, Ecclesia und Synagoge, Hostienschändung,<br />

Kindermord, Ritt auf dem Schwein, Judeneid, Judenbad sowie Sprüche, in denen sich zuletzt<br />

Walther Rathenau auf Judensau reimt.<br />

Die Brandenburger Judensau ist erstmals im Jahre 1912 vom Architekten Paul Eichholz<br />

kunsthistorisch beschrieben worden 3 , und zwar als derbe Verunglimpfung der Mutterreligion<br />

<strong>des</strong> Christentums. Aus den Jahrhunderten davor fehlen Akten oder Publikationen, nach denen<br />

sie schon früher explizit oder implizit als Judensau bezeichnet worden ist. Ein Zusammenhang<br />

zwischen Judensau und dem Nachbarornament, das zwei prunkvoll ausgerüstete, aber unterlegene<br />

Ritter in Kämpfen mit einem großen und vier kleinen Drachen zeigt, ist bisher nicht<br />

gesehen worden. Beide Autoren haben aber auf das Drachenkapitell und <strong>die</strong> Möglichkeit eines<br />

Zusammenhangs mit der Judensau hingewiesen. Shachar berichtete ferner, daß in Brandenburg<br />

Spannungen zwischen Christen und Juden beim Entstehen der Judensau nicht vorlagen,<br />

da Juden sich in Brandenburg erst zu Beginn <strong>des</strong> nachfolgenden Jahrhunderts niedergelassen<br />

haben. Schließlich stimmt es nachdenklich, daß der deutsche Kaiser sich im Gegensatz zu den<br />

Königen von Frankreich und England in den ersten Jahrzehnten geweigert hat, dem Beschluß<br />

<strong>des</strong> 4. Laterankonzils vom November 1215 zu folgen, in dem gefordert wird, <strong>die</strong> „verdammungswürdige<br />

fleischliche Vermischung von Juden und Christen durch Kleiderkennzeichen zu<br />

unterbinden". 1<br />

Die Teilnehmer betrachteten <strong>die</strong> Brandenburger Judensau nach der Beschreibung von Shachar<br />

als das älteste aller noch vorhandenen Exemplare, und zwar aus der Zeit um 1230. Sie besteht<br />

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