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152 Christian Pukowski<br />
Trotz allem habe ich in diesen „Erfurter Jahren“<br />
als junger Jugendlicher auch Dinge erlebt,<br />
an die ich mich trotz aller Tristesse der damaligen<br />
Zeit heute doch gerne erinnere. Wir hatten<br />
zwar nichts, waren aber doch irgendwie zufrieden.<br />
Ich hatte interessante Freunde. Wir lasen sehr<br />
viel, machten gewagte chemische Experimente,<br />
fingen in der Gera Forellen mit der Hand, klauten<br />
vom Bahndamm aus Äpfel aus den Gärten,<br />
schwammen im Schwimmbad mangels Badehose<br />
in Schlapper-Unterhosen und bildeten jährlich<br />
auf den Stufen des Erfurter Doms mit unseren<br />
Lampions die bekannte „Luther-Rose“, wonach<br />
wir etwas „rauchten“.<br />
1948 wurde mein Vater endlich aus englischer<br />
Kriegsgefangenschaft in den Westen Deutschlands<br />
entlassen, wo er auch bleiben wollte. Wir<br />
verließen deshalb Erfurt bei Nacht und Nebel<br />
mit dem Ziel Essen.<br />
Über West-Berlin gelangten wir schließlich mit<br />
einem Rosinenbomber der Luftbrücke nach Lübeck,<br />
und ich kam im Juni 1949 in Essen an.<br />
Wieder als mittelloser Flüchtling, aber ein ganz<br />
neues Leben konnte beginnen!<br />
Humboldt-Jahre in Essen (1949 – 1955)<br />
Und es begann! Trotz der Trümmerberge, die<br />
damals noch an vielen Stellen der Stadt herumlagen.<br />
Ich hatte in Erfurt ja nur die Grundschule besuchen<br />
können. Meine Mutter erreichte bei<br />
„Papa Kindgen“, dass ich noch im laufenden<br />
Schuljahr in die „Quarta Z“ der Humboldt-<br />
Schule aufgenommen wurde. Mit meinen Klassenkameraden<br />
begannen die ersten menschlichen<br />
Kontakte in meiner neuen Essener Heimat.<br />
Deshalb ist „Humboldt“ für mich anders und<br />
auch mehr als für meine Mitschüler, die hier<br />
geboren und aufgewachsen sind.<br />
Wir haben in den Jahren auf der Humboldt-<br />
Schule in einem guten Geist der Zusammengehörigkeit<br />
gemeinsam viel Schönes erlebt! Wir haben<br />
ernsthaft gelernt und diskutiert, auch einigen<br />
Unsinn veranstaltet und daneben sportlich<br />
einiges für das Humboldt-Image beigetragen.<br />
An unsere Klassenfahrten erinnere ich mich<br />
besonders gern, weil uns hierbei die gemeinsamen<br />
Erlebnisse noch mehr zusammenschmiedeten.<br />
Wir hatten neben unserem „Theo Walke“ gute<br />
Lehrer. Ich glaube, wir haben durch sie viel gelernt.<br />
Sie haben uns nicht nur die reinen Fakten<br />
vermittelt, sondern darüber hinaus auch intellektuelle<br />
und kulturelle Anregungen gegeben, die<br />
bis heute nachwirken. Manche haben uns wohl<br />
auch als Menschen mit ihrer eigenen Persönlichkeit<br />
angesprochen. (Siehe hierzu die Berichte<br />
einiger Klassenkameraden.)<br />
Ich habe diese Humboldt-Jahre bis heute in<br />
bester Erinnerung behalten und freue mich,<br />
dass dieses Gefühl des „Wir“ offenbar bei den<br />
meisten von uns noch immer Bestand hat.<br />
Schließlich treffen wir uns jedes Frühjahr im<br />
„Gebrandenhof“ in Essen in ziemlich großer<br />
Runde und verstehen uns nach wie vor sehr gut.<br />
Deshalb wollen wir auch unser 50jähriges Abi-<br />
Jubiläum angemessen feiern.<br />
Offenbach und Darmstadt (1955 – 1962)<br />
Zu meinem großen Bedauern musste ich die O1A<br />
kurz vor dem Abitur verlassen, weil mein Vater<br />
nach Offenbach versetzt wurde. In Essen blieben<br />
viele Freunde und ein Mädchen, das ich damals<br />
sehr liebte, zurück.<br />
Die neuen Klassenkameraden haben mich sehr<br />
nett aufgenommen. Sie störte nur mein Hochdeutsch<br />
und dass die Humboldt-Schule im<br />
„Ruhrpott“ ihre Schüler offensichtlich wesentlich<br />
besser ausgebildet hatte. Aber als sich<br />
durch mein Eingreifen in den jahrelangen sportlichen<br />
Zweikampf mit dem anderen Offenbacher<br />
Gymnasium das Blatt zu „unseren“ Gunsten wendete,<br />
war ich in die Gemeinschaft integriert und<br />
hatte bald besonders bei den Sportlern gute<br />
Freunde. Diese Freundschaften bestehen übrigens<br />
bis heute. (Vor einem Monat haben auch<br />
wir in Mespelbrunn (Spessart) unser 50jähriges<br />
Abitur-Jubiläum gefeiert.)<br />
Nach dem Abitur, das ich dann in Offenbach<br />
machte, standen wir wohl alle vor dem Problem,<br />
entscheiden zu müssen, wie es in unserem Leben<br />
denn nun weitergehen sollte.<br />
Ich schwankte zwischen Jura und Ing.-Wissenschaften<br />
– beides lag und gefiel mir. Ich wählte<br />
das Letztere und studierte an der TH Darmstadt<br />
Maschinenbau und später Reaktortechnik.<br />
Da ich damals Patentanwalt werden wollte, hörte<br />
ich auch Vorlesungen in Recht und legte die entsprechenden<br />
Prüfungen ab. Dies war für meine