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Werner Trösken in der KLV 199<br />

mannschaft „Sturmgepäck-Rucksäcke“. Vorsorglich<br />

wurde mit uns das Packen von Rucksäcken<br />

geübt: „Ihr packt in den Rucksack: 3x Unterwäsche,<br />

3 Oberhemden, 3 Paar Socken, Waschzeug,<br />

2 Handtücher, 1 Ersatzhose! Jeder<br />

schnallt eine Decke - längs-gerollt - um den<br />

Rucksack herum und eine Decke - kurz-gerollt -<br />

vor den Rucksack!“<br />

Es dauerte nicht lange, da erschienen auch<br />

schon die Amis. Lässig saßen sie in ihren<br />

Jeeps und kauten ständig. Ein Offizier<br />

sprach mit Schichtel. Wir mussten innerhalb<br />

von 2 Stunden das Lager verlassen. „Wohin<br />

mit den Jungen? Die sind doch erst 11 Jahre<br />

alt!“ Der Protest half nichts. Der Ami wollte<br />

uns unbedingt befreien.<br />

Jeder von uns bekam eine Dose Schmalzfleisch<br />

und eine Tüte mit getrockneten Brotscheiben<br />

zusätzlich in den Rucksack gesteckt. Unsere<br />

älteren Mitschüler kümmerten sich rührend um<br />

uns. Wir nannten sie damals zwar „Lama“ und<br />

„Ufü“ (Unterführer), aber sie waren eben doch<br />

nur Schüler der Humboldt. Sehr dankbar und<br />

mit Respekt und Bewunderung denke ich heute<br />

noch gerne daran, mit welch unermüdlichem Einsatz<br />

und welch hohem Maß an Verantwortung die<br />

„großen Jungs“ seinerzeit für uns sorgten.<br />

Ein letztes Mal hieß es: „Lagermannschaft angetreten!<br />

- Abzählen! - Schultert das Gepäck!“<br />

In Marschkolonne zogen wir durch Kitzbühel,<br />

aufmerksam beäugt von den verblüfften Ami-<br />

Soldaten, die beim Anblick der ordentlichen<br />

Nazi-boys beinahe das Kauen vergessen hätten.<br />

Kein Mensch wusste, wohin es gehen sollte. In<br />

Kirchberg trafen wir auf 2 andere Klassen.<br />

Zusammen lagerten wir auf einer Wiese in der<br />

Nähe der Kirche. Wasser gab es an einem<br />

Brunnen; lassen konnte man es wieder auf<br />

angrenzenden Äckern.<br />

Nachdem wir eine Nacht im Freien biwakiert<br />

hatten, wies uns unser Lama den Weg nach<br />

Aschau in eine Dorfschule. Freundliche Bauern<br />

stifteten Stroh. 40 Knaben fanden Unterschlupf<br />

in einem Klassenraum. Schichtel mit<br />

Frau und Tochter trafen per Postbus ein, mit<br />

ihnen auch ein Sack Reis.<br />

Wir durften ausschwärmen, mussten uns aber<br />

zu bestimmten Zeiten zum Essenfassen an der<br />

Schule einfinden. Vier Klassenkameraden und<br />

mir war das nächtliche Kampieren unter freiem<br />

Himmel schlecht bekommen. Wir erkrankten an<br />

einer schweren Angina und litten unter sehr<br />

hohem Fieber. Kein Arzt war erreichbar. Da<br />

machten sich unsere besagten großen Jungen<br />

auf die Socken, um Hilfe zu holen. An den<br />

Hauptstraßen in den großen Tälern beherrschten<br />

die Amis das Terrain. Auf den Bergen und in<br />

den kleineren Tälern sickerten deutsche<br />

Einheiten zurück ins Reich. Wie unsere „Ufüs“<br />

Kontakt mit deutschen Sanitätern aufgenommen<br />

hatten, haben wir nie erfahren. Jedenfalls kam<br />

nachts ein Militärarzt, untersuchte uns, versorgte<br />

uns mit Medikamenten und verschwand<br />

wieder im Dunkel der Nacht.<br />

Das Leben in einem Bauerndorf gefiel den<br />

Stadtkindern. Wir freundeten uns schnell mit<br />

der Dorfjugend an und halfen gern bei Arbeiten,<br />

die bei Bergbauern stets reichlich zu finden<br />

sind. So kam es, dass einige Bauern uns die<br />

Möglichkeit boten, bei ihnen im Heu zu übernachten.<br />

Vier Klassenkameraden und ich verließen<br />

das enge Schulzimmer und schliefen fortan<br />

in der Scheune beim Kina-Sepp. Später fanden<br />

mein Freund Jürgen und ich Unterkunft und<br />

Verpflegung beim Almbauern Schroll (Heute<br />

Sporthotel Schroll über Kirchberg.). Wir misteten<br />

die Ställe aus, striegelten die Hofkühe, halfen<br />

im Heu, versorgten die Almkühe mit Salz<br />

und die Almfohlen mit Kraftfutter. Schon lange<br />

trugen wir keine Schuhe und Strümpfe mehr,<br />

saßen morgens, mittags und abends mit allen<br />

Bauersleuten am großen runden Tisch und fielen<br />

spät todmüde, aber satt und zufrieden, ins Bett.<br />

Eines Abends klopfte der Mitschüler Schefler<br />

just beim Abendbrot an die Tür, sah mich an<br />

und legte ohne Umschweife gleich los: „Dein<br />

Vadder ist da!“ Mit einem lauten Freudenschrei<br />

sprangen Jürgen und ich von der Eckbank und<br />

stürmten ins Tal. Kein Zaun war zu hoch, kein<br />

Graben zu breit, wir spürten auch nach den<br />

Wiesen die spitzen Wegsteine nicht, nur schnell<br />

hin zu „Vaddern“! Und dann sah ich ihn! Er stand<br />

auf der Dorfstraße und unterhielt sich mit einem<br />

Mann. „Papaaaa,“ rief ich von weitem. Er<br />

fing mich mit weit ausgebreiteten Armen auf. -<br />

Diese Wiedersehensszene gehört zu den<br />

Eckpunkten in meinem Leben. Seit einem Jahr<br />

hatte ich meine Lieben nicht gesehen. Seit<br />

Februar 1945 hatten wir nur noch vereinzelt<br />

Post aus Essen erhalten. Mit mir freuten sich<br />

alle Lagerkameraden, denn in wenigen Tagen<br />

sollten wir alle zurück nach Essen fahren.

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