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88 Wolfgang Davidheimann<br />
Aus meinem Leben…<br />
Dankbar bin ich für die Idee der Abizeitschrift<br />
und komme gern dem Wunsch nach, über den<br />
Weg nachzudenken und zu schreiben, den ich<br />
gegangen bin.<br />
Wie es der Zufall will, stieß ich bei meinen Vorüberlegungen<br />
in einem Kalenderblatt auf einen<br />
Satz des Kirchenlehrers Augustinus, der seinen<br />
Zeitgenossen, die über die schlechten Zeiten<br />
klagten, folgende Erklärung gab: „Die Zeiten,<br />
das sind wir doch selber.“ Ein merkwürdiges<br />
Wort, und wenn ich ihm ein wenig nachgehe, wird<br />
mir bewusst, wie seltsam diese Wirklichkeit<br />
„Zeit“ mit den Gezeiten Kindheit, Jugend, Erwachsen<br />
sein und Alter ist.<br />
Dabei verspüre ich beim Rückblick gleichzeitig<br />
Melancholie und Trost der Vergänglichkeit. Sowohl<br />
schöne als auch harte Tage erscheinen in<br />
der Erinnerung eher verklärt; vieles, was mich<br />
bedrängte, ist eigentümlich gewichtslos geworden.<br />
Das steht dennoch nicht im Gegensatz zu<br />
der freundlichen Aufforderung unseres Redaktions-Teams,<br />
„Erfahrungen und Bilanzen eines<br />
Lebens“ zusammenzufassen; sie wirkte wie ein<br />
Weckruf, der viele Ereignisse und Phasen aus<br />
fast vergessener oder auch verdrängter Zeit<br />
wieder lebendig werden lässt.<br />
Kindheit im Krieg<br />
Geboren und aufgewachsen bin ich in Essen-<br />
Kray, wo ich mit meiner Mutter und meinen<br />
Großeltern (Eltern meiner Mutter) in einer vierräumigen<br />
Wohnung lebte, was bei den kargen<br />
Einkommensverhältnissen - Großvater war Rentner,<br />
Mutter bekam den mehr als dürftigen<br />
Wehrsold meines Vaters - schon als Luxus angesehen<br />
werden konnte. Bis Anfang 1943 verlief<br />
meine Kindheit recht schön und glücklich.<br />
Das friedensähnliche Leben im Krieg endete<br />
spätestens am 5. März 1943, als der erste<br />
schwere Bombenangriff auf Essen niederging.<br />
Weite Teile der Stadt wurden in ein Trümmerfeld<br />
verwandelt. Ich erlebte zum ersten Mal das<br />
Inferno brennender Baracken und Häuser, sah<br />
die ersten Toten, darunter auch Bekannte aus<br />
der Nachbarschaft. Es war entsetzlich. Diese<br />
Bilder haben sich mir tief eingeprägt.<br />
Von da an begann der Krieg eine immer erschreckendere<br />
Gestalt anzunehmen. Pausenlose<br />
Luftangriffe bei Tag und Nacht beherrschten<br />
das tägliche Leben und zerrten an den Nerven.<br />
Aus unserem „Volksempfänger“ ertönten bis zum<br />
Schluss die schwachsinnigen Parolen vom Endsieg<br />
dank der Wunderwaffen des Führers. Das<br />
alles hatte am 10. April 1945, dem Geburtstag<br />
meiner Mutter, Gott sei Dank, ein Ende, als<br />
amerikanische Soldaten und Panzer in unserer<br />
Straße auftauchten, um die letzten erbarmungswürdigen<br />
Stellungen des „Volkssturms“ zu überwältigen.<br />
Am 11. April 1945 wurde die Stadt offiziell<br />
übergeben.<br />
Nachkriegsjahre<br />
Die Folgezeit war gekennzeichnet von Hunger<br />
und Not an Wohnung und Kleidung. Schwarzmärkte<br />
blühten, es wurde geschachert, gekungelt<br />
und geklaut. Im Herbst 1945 kehrte mein<br />
Vater nach einer gefährlichen Odyssee aus dem<br />
Krieg nach Hause zurück, die Ungewissheit war<br />
vorüber, die Wiedersehensfreude unbeschreiblich.<br />
Es war wie eine gute Fügung, dass Vater<br />
schon bald seinem Beruf als Bäcker bei seiner<br />
alten Firma nachgehen konnte. Die Firma erhielt<br />
von den amerikanischen Besatzern den Dauerauftrag,<br />
täglich Brot und Brötchen für die Truppe<br />
zu backen. Dadurch fiel für uns ein Deputat<br />
an Brot und Mehl ab, und unsere Grundversorgung<br />
war damit zunächst gesichert. Später<br />
erweiterte sich der Speisenzettel durch die