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Werner Trösken in der KLV 197<br />
Werner Trösken in der KLV<br />
„So ist das nun mal, mein Sohn“, sagte mein Vater.<br />
„Du willst doch die Oberschule besuchen.<br />
Hier gibt es keine Gymnasien mehr. Die Humboldt-Oberschule<br />
wurde mit allen Klassen nach<br />
Kitzbühel in Tirol ausquartiert. Dein Freund<br />
Jürgen ist schon da.“ - Mit Jürgen verband mich<br />
seit dem ersten Schuljahr eine ganz innige<br />
Freundschaft. Ich erinnere mich, dass wir einmal<br />
in der Pause einen Apfel miteinander teilten<br />
und jeder wollte die etwas kleinere Hälfte haben,<br />
um nur ja den Freund nicht zu benachteiligen.<br />
So gesehen, ist es verständlich, dass es<br />
kein besseres Argument gab, um mich in das sichere<br />
Land Tirol zu locken, als die Aussicht,<br />
dort dem treuen Freund zu begegnen.<br />
In den Kriegsjahren erwartete man von jedem<br />
deutschen Knaben, dass er schnell wie ein Windhund,<br />
zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl sei.<br />
Letzteres war für uns besonders verpflichtend,<br />
weil wir ja alle aus der „Kruppstadt“ stammten.<br />
Tagsüber gelang es mir mit sehr viel Mühe, hart<br />
zu bleiben. Aber nachts wurde ich - zumindest<br />
in den ersten Wochen - von einem grässlichen<br />
Heimweh geschüttelt. Mit zehn Jahren waren<br />
wir Sextaner schon alle Kriegsveteranen und<br />
wussten genau, was sich des Nachts im Ruhrgebiet<br />
abspielte. Ich spürte, Mutter und Schwester<br />
befanden sich in großer Not. Wie konnte ich<br />
sie nur alleine lassen!?! In meiner Verzweiflung<br />
wurde ich zum frommsten Pimpf des 3. Reiches<br />
und war dabei wohl als kindlich-aufrichtiger<br />
Fürbitter äußerst erfolgreich.<br />
In Kitzbühel war jede Klasse in einem eigenen<br />
Hotel untergebracht. Im Hotel Holzner wohnten<br />
40 Sextaner, 2 Studienräte mit ihren Familien<br />
und ein Primaner als Lagermannschaftsführer (=<br />
Lama). Lagerleiter Schichtel hielt die ganze<br />
Truppe unter strenger Zucht fest im Griff. Man<br />
kann die Leistung der KLV-Lehrer gar nicht<br />
hoch genug einschätzen. Sie waren allesamt damals<br />
- rund um die Uhr - 24 Stunden im Dienst.<br />
Tag und Nacht trugen sie die Verantwortung für<br />
40 muntere Knaben. So nimmt es nicht wunder,<br />
dass unser Lagerleben nach äußerst strengen<br />
Regeln verlief. Aus heutiger Sicht waren wir<br />
eine „kasernierte Pimpfentruppe“.<br />
Morgens weckte uns schon vor 7 Uhr der schrille<br />
Pfiff einer Trillerpfeife, und Lama Wiegand<br />
brüllte: „Lagermannschaft aufstehen!!!“ Wir<br />
sprangen aus den Stapelbetten, schlugen sofort<br />
das Bettzeug zum Lüften zurück und drängten<br />
uns an das Waschbecken. Wer spät dran war,<br />
machte wenigstens seine Zahnbürste feucht, um<br />
bei einer Kontrolle nicht übel aufzufallen.<br />
Kaum waren wir in die Kleidung geschlüpft, ertönte<br />
erneut ein Pfiff, und wir traten auf dem<br />
Flur an, um gemeinsam in Zweierreihe lautlos<br />
zum Frühstück zu gehen. 6 „Mann“ vom Küchendienst<br />
hatten inzwischen die Tische gedeckt.<br />
Jeder Schüler stand hinter seinem Stuhl. Begrüßung<br />
durch die Lehrer, Zählkontrolle und<br />
Krankmeldungen, dann der Befehl: „Setzen!“<br />
Reihum musste jeweils ein Knäblein einen Spruch<br />
aufsagen, bevor wir zulangen durften. Das klang<br />
dann etwa so: „Wie der Adler aus den Lüften<br />
stürzt der Pimpf sich auf die Kniften! Guten ...“<br />
- „Hunger“, riefen alle wie aus einem Mund. –<br />
Nach dem Frühstück standen wir gemeinsam auf<br />
und gingen nach oben. Während der Küchendienst<br />
die Tische säuberte und für den Schulunterricht<br />
umstellte, brachten wir unsere „Buden“<br />
durch Ausfegen, Aufräumen und Putzen in einen<br />
Zustand, der jeder Diplomhausfrau höchstes<br />
Lob eingebracht hätte. Besonderen Wert legte<br />
unser Lama bei der täglichen Stubenkontrolle<br />
auf die vorgegebene Ordnung beim „Bettenbau“<br />
und dem „Päckchenbau“ in den Kleiderschränken:<br />
Die Strohsäcke durften keine „Kuhle“ aufweisen.<br />
Die Bettlaken und eine Schlafdecke wurden<br />
faltenfrei gespannt und an den Bettkanten fest<br />
eingesteckt. Die zweite Schlafdecke lag sauber<br />
gefaltet am Fußende. Das Kopfkissen wurde mit<br />
den Handkanten in eine eckige Form gebracht.<br />
Oberhemden und Unterhemden falteten wir unter<br />
Zuhilfenahme eines Schreibheftes. Beim<br />
Falten der Oberhemden nahm man das Schreibheft<br />
quer, bei den Unterhemden nutzte man es<br />
in der Längsrichtung als Einlage. Wenn der Lama<br />
die Schranktür öffnete, lagen alle Hemden in<br />
sauberen Päckchen so ordentlich nebeneinander,<br />
dass man mit einem seitlich angelegten Lineal<br />
keine Verwerfung feststellen konnte.<br />
Die Trillerpfeife ertönte noch mehrere Male am<br />
Tag: Antreten zum Unterricht! - Antreten zum<br />
Mittagessen! - Antreten zum Silentium (Hausaufgaben)!<br />
- Antreten zum täglichen Ausmarsch!<br />
Der Ausmarsch erfolgte stets in Uniform. Vor<br />
dem „KLV-Lager TV 121“ mussten wir uns zunächst<br />
der Größe nach aufstellen, zu dreien