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Einführung in die Linguistik

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6.2. LEXIKALISCHE SEMANTIK 103<br />

a) Der Förster musste <strong>die</strong>ses Jahr weniger Steuern zahlen als sonst.<br />

b) *Der Regen musste <strong>die</strong>ses Jahr weniger Steuern zahlen als sonst.<br />

Nun könnten wir behaupten: Satz b) ist offenbar unsemantisch, d.h. semantisch<br />

nicht wohlgeformt. Das beweist, dass Regen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere semantische<br />

Kategorie gehört als Förster. Vermutlich muss man außerdem <strong>die</strong> beiden Vorkommnisse<br />

von ließ <strong>in</strong> Beispiel 67 a) und b) als Formen verschiedener Wörter<br />

betrachten.<br />

Nehmen wir nun aber an, Max würde Satz 68 b) äußern. Wie würden wir<br />

reagieren? Würden wir sagen: “Du hast offenbar entweder <strong>die</strong> Bedeutung von<br />

Regen oder <strong>die</strong> Bedeutungen der anderen Wörter de<strong>in</strong>es Satzes nicht richtig<br />

verstanden.” Das wäre sicher e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Reaktion, wenn wir wüssten, dass<br />

Max ke<strong>in</strong> deutscher Muttersprachler ist, und davon ausgehen müssen, dass er<br />

manchmal Wörter (z.B. Dirigent und Regen) verwechselt. Mit <strong>die</strong>ser Reaktion<br />

würden wir Max e<strong>in</strong> sprachliches, e<strong>in</strong> semantisches Problem zuschreiben. Wenn<br />

Max aber deutscher Muttersprachler ist und außerdem ke<strong>in</strong>en Witz machen<br />

wollte, noch se<strong>in</strong>e Äußerung irgendwie metaphorisch, sondern wörtlich und vollkommen<br />

ernst geme<strong>in</strong>t hat, dann müssen wir schließen, dass er e<strong>in</strong> ontologisches<br />

Problem hat, dass heißt, dass er <strong>die</strong> Welt falsch bzw. wesentlich anders sieht als<br />

<strong>die</strong> meisten Leute. Maxens Problem wäre also nicht durch semantischen, sondern<br />

eher durch psychiatrischen Beistand zu lösen. (Wir schicken Leute, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Welt merkwürdig sehen, ja nicht, wie man vermuten könnte, zum Ontologen,<br />

sondern zum Psychiater.)<br />

Diese Überlegung br<strong>in</strong>gt nun aber unsere obige Behauptung, dass 68 b)<br />

unsemantisch sei und deswegen zeige, dass Regen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere semantische<br />

Klasse gehöre als Förster, <strong>in</strong>s Wanken: Von welcher Art ist der Stern von Satz 68<br />

b). Ist es e<strong>in</strong> Unsemantizitäts- oder nicht vielmehr e<strong>in</strong> Unontologizitätsstern? Ist<br />

<strong>die</strong> Bedeutung von Satz 68 b) merkwürdig, oder kommt e<strong>in</strong>fach der Sachverhalt,<br />

den er ausdrückt, nicht <strong>in</strong> der Welt vor? Der Sachverhalt, dass Kohl der Bruder<br />

von Cl<strong>in</strong>ton ist, kommt auch nicht <strong>in</strong> der Welt vor. Dennoch ist der Satz Kohl<br />

ist der Bruder von Cl<strong>in</strong>ton semantisch völlig <strong>in</strong> Ordnung. Woher wissen wir<br />

also, wann wir e<strong>in</strong>en Satz aus semantischen Gründen ablehnen, und wann aus<br />

ontologischen? Können wir das überhaupt je wissen?<br />

Bisher hat jedenfalls noch niemand klare Kriterien dafür angegeben.<br />

6.2 Lexikalische Semantik<br />

Theorie der Bedeutung der Lexe-<br />

Def<strong>in</strong>ition 327 lexikalische Semantik.<br />

me (e<strong>in</strong>er Sprache).<br />

Def<strong>in</strong>ition 328 Lexem. E<strong>in</strong> Lexem ist e<strong>in</strong>e Wortgestalt oder e<strong>in</strong>e Folge von<br />

Wortgestalten mit disambiguierter, d.h. e<strong>in</strong>er und genau e<strong>in</strong>er Bedeutung, <strong>die</strong><br />

nicht aus anderen Bedeutungen zusammengesetzt ist. Formaler ausgedrückt ist<br />

e<strong>in</strong> Lexem e<strong>in</strong> Paar < G, B >, wo G <strong>die</strong> Gestalt und B <strong>die</strong> (atomare) Bedeutung<br />

des Lexems ist.<br />

Beispiele 69 Lexem. Bank 1 und Bank 2 s<strong>in</strong>d verschiedene Lexeme, da sie<br />

verschiedene Bedeutung haben: Bank 1 = , Bank 2<br />

= < Bank, “Geld<strong>in</strong>stitut”>. Lift und Aufzug s<strong>in</strong>d verschiedene Lexeme, weil

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