Einführung in die Linguistik
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6.2. LEXIKALISCHE SEMANTIK 105<br />
a) Man beachte <strong>die</strong> Parallele zur Def<strong>in</strong>ition von Phonemen: Um <strong>die</strong> Bedeutung<br />
von Lexemen L zu eruieren, beschreibt man <strong>die</strong> Rolle, <strong>die</strong> L — im<br />
Vergleich zu anderen Lexemen L ′ — <strong>in</strong> der Sprache hat. Und man def<strong>in</strong>iert<br />
<strong>die</strong> Bedeutung von L durch Angabe von Werten <strong>in</strong> bestimmten Kategorien.<br />
Manche Leute nennen <strong>die</strong>se Kategorien Seme, manche verstehen unter<br />
e<strong>in</strong>em Sem e<strong>in</strong>en Wert, den e<strong>in</strong> Lexem <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er semantischen Kategorie<br />
aufweist (vgl. dazu Def<strong>in</strong>ition 79 auf Seite 30).<br />
b) Die klassische Art, <strong>die</strong> Bedeutung e<strong>in</strong>es Ausdrucks zu beschreiben, besteht<br />
dar<strong>in</strong>, den Ausdruck zu def<strong>in</strong>ieren. Für das korrekte Def<strong>in</strong>ieren gibt folgende<br />
seit der Antike beachtete Anleitung: Def<strong>in</strong>itio fit per genus proximum<br />
et differentiam specificam. (“Man def<strong>in</strong>iert durch Angabe des nächsten Genus<br />
und des Artunterschieds.”) Beispiel für Def<strong>in</strong>ition nach <strong>die</strong>ser Formel:<br />
“E<strong>in</strong> L<strong>in</strong>guist ist e<strong>in</strong> Wissenschaftler (nächstes Genus), der sich mit der<br />
oder den Sprachen beschäftigt (Artunterschied).” Komponentenanalysen<br />
<strong>in</strong> der Art der oben abgebildeten lassen sich <strong>in</strong> Def<strong>in</strong>itionen überführen.<br />
Aufgabe 40 Def<strong>in</strong>iere <strong>die</strong> Bedeutungen von Stuhl, Bank, Sessel, Sofa und Hocker<br />
anhand der <strong>in</strong> Beispiel 70 gemachten Behauptungen.<br />
6.2.2 Semantische Relationen<br />
Weiter oben haben wir gesagt, dass man <strong>in</strong> der lexikalischen Semantik <strong>die</strong> Bedeutung<br />
von Lexemen über <strong>die</strong> Rolle, <strong>die</strong> sie im Sprachsystem spielen, zu erfassen<br />
versucht. “Die Rolle” e<strong>in</strong>es Lexems L könnten wir auch def<strong>in</strong>ieren als<br />
<strong>die</strong> Menge der Relationen, <strong>die</strong> L zu Lexemen L ′ hat. Da wir im nächsten Abschnitt<br />
Mel’čuks lexikalische Funktionen, e<strong>in</strong> semantisches Beschreibungsmittel,<br />
mit dem man unter anderem klassische semantische Relationen ko<strong>die</strong>ren kann,<br />
kennenlernen werden, steht bei den folgenden Def<strong>in</strong>itionen von semantischen<br />
Relationen immer der Name der fraglichen lexikalischen Funktion.<br />
Def<strong>in</strong>ition 330 Ambiguität.<br />
Mehrdeutigkeit. A 0 : ambig.<br />
Anmerkung 50 Ambiguität. Da wir unter Lexemen vollständige Zeichen,<br />
das heißt Entitäten mit s<strong>in</strong>nlich wahrnehmbarer Gestalt und nicht direkt beobachtbarem<br />
Inhalt verstehen, können Lexeme per def<strong>in</strong>itionem nicht mehrdeutig<br />
se<strong>in</strong>. Wir betrachten also z.B. Bank 1 (“Sitzmöbel”) und Bank 2 (“Geld<strong>in</strong>stitut”)<br />
als zwei verschiedene Lexeme.<br />
Def<strong>in</strong>ition 331 Homonymie. Man nennt n (n > 1) Ausdrücke homonym,<br />
wenn sie <strong>die</strong>selbe Gestalt, aber verschiedene Bedeutungen haben (und wenn es<br />
ke<strong>in</strong>e semantische Brücke zwischen ihnen gibt).<br />
Def<strong>in</strong>ition 332 Polysemie. Man nennt e<strong>in</strong> Wort polysem, wenn es verschiedene<br />
Bedeutungen hat, zwischen denen e<strong>in</strong>e semantische Brücke besteht.<br />
Beispiel: Schule 1 : “Schulgebäude”. Schule 2 : “Institution”, Schule 3 : “Paradigma<br />
3 ”, ...<br />
Anmerkung 51 semantische Brücke. Die unpräzise Passage semantische<br />
Brücke <strong>in</strong> den Def<strong>in</strong>itionen 331 und 332 wird von verschiedenen L<strong>in</strong>guisten